Die Kunsthalle Basel freut sich, die erste Einzelausstellung der Schweizer Künstlerin Hannah Weinberger zu präsentieren.
Ein Werk aus der Gemeinschaft heraus zu entwickeln ist essentieller Bestandteil der künstlerischen Praxis Weinbergers. So schlossen bisherige Arbeiten die Mitarbeit anderer in der jeweiligen Ausstellung teilnehmender Künstler ein. Die performative Produktion von Musik und Sound an den Eröffnungen der Ausstellungen bildete nicht nur einen Rahmen, der die Arbeiten anderer Künstler einschloss, dieser wurde vielmehr auch von den anderen mit produziert. Ihre Arbeit ging in den Raum über und basierte auf einer kollektiven Zusammenarbeit. Die Verwendung von unterschiedlichen Genres innerhalb ihrer Arbeit zeichnet Weinberger dahingehend aus, dass sie die Grenzen einer Jugendkultur aufhebt, die sich vor allem durch ihre Zugehörigkeit zu einem Genre und dem damit verbundenen Lebensstil definiert. Diese Aufhebung von Grenzen und die gleichzeitige offene Arbeitsweise stellen die Rolle hierarchischer Prozesse innerhalb der Kunst der Gegenwart in Frage und legen einen Fokus auf die Wichtigkeit und Präsenz kollektiven Schaffens unserer Zeit.
Als Vertreterin einer Generation, die unbegrenzten Zugriff auf Informationen und Medien hat, siedelt Weinberger ihre Arbeit in der Erzeugung von Musik- und Sound-Performance an. Die Verfügbarkeit von bezahlbarer Technologie erlaubt es jedem hochwertige Musik- oder Film-Produktionen zu starten und sie gleichzeitig zu distribuieren. Damit lösen sich die Grenzen sowie die Hierarchie von künstlerischer Produktion dahingehend auf, dass eine Person Zugriff auf alle Schritte hat, die nötig sind eine Arbeit der breiten Masse zu präsentieren. Online-Plattformen wie YouTube und andere sind dabei nur ein Teil des Ganzen, welches den Vertrieb von Filmen und Musik-Produktionen dieser neuen Generation fördert. Dabei bestimmt die Mehrheit was gefällt und grosse Konzerne werden durch die Anzahl der ‚Klicks’ auf bestimme Titel aufmerksam um diese in ihre Vertriebsstruktur zu übernehmen. Die Entdeckung und Auswahl von künstlerischen Werken wird nicht mehr nur einer kleinen Zahl von Personen und Talent-Scouts überlassen. Ein vorproduziertes, zusammengestelltes Album verliert an Wichtigkeit, da sich die Playlist kontinuierlich ändert. Musik wird so zu einem Datenstrom von Geräuschen. Tracks von Freunden per Email empfangen, ergänzen gekaufte Tracks mit selbstkomponierten oder aus dem Internet heruntergeladenen.
Für die Kunsthalle Basel produzierte Weinberger eine ortsspezifische Soundinstallation. When You Leave, Walk Out Backwards, So I’ll Think You’re Walking In ist dabei Ausstellungs- und Werktitel. Musik und Sound füllen die unteren fünf Säle der Kunsthalle Basel und präsentieren sich visuell allein durch die sichtbare Platzierung der Lautsprecher; Vorhänge an den Wänden der Säle sorgen für die Absorption des Echos. Zum ersten Mal zeigt sich Weinbergers Arbeit allein und einzig durch Musik und Sound. Die Arbeit steht für sich und arbeitet mit der Aufteilung der Räume. Die kollektiven Prozesse vorheriger Arbeiten finden hier nicht statt. Um die 22 Stunden Sound hat Weinberger für ihre Ausstellung produziert. Dabei laufen elf Loops auf elf Kanälen, die Weinberger auf die Räume aufgeteilt hat und die sich auf Grund ihrer unterschiedlichen Länge permanent neu mischen. Der Grand Opening Soundtrack der Einladung zu Ausstellung bietet eine Vorschau auf die unterschiedlichen Loops, die produziert wurden.
Im ersten Saal finden sich drei kreisrunde Lautsprecher, auf denen drei verschiedene Loops laufen. Jeder dieser Lautsprecher generiert ein Klangfeld, dessen Intensität umso stärker ist, desto näher man ihm kommt. Die Überlagerung von Ton findet so zwischen den Boxen, sowie zwischen den Räumen statt. Richtlautsprecher im Saal 2 füllen den Raum mit zwei weiteren Loops während man im nächsten Raum in eine intimere Atmosphäre übergeht. Vier Loops im Saal 4 und einer im letzten Saal der Kunsthalle schliessen die Schleife und eröffnen sie. Die Ausstellung ist nicht wie ein Album aufgebaut, das von Anfang bis Ende läuft. Jeder der Räume und jeder der Loops kann Anfang und Ende der Arbeit Weinbergers sein. Der Betrachter bzw. Zuhörer ist es, der bestimmt wie lange er in einem Raum, bei einem Loop oder einer Position zwischen zweien oder mehreren Loops verweilt. Er mischt sich seinen eigene Track und kreiert seine persönliche Arbeit Weinbergers. Die Loops sind stets in einer Tonalität komponiert, in welcher Dur und Moll harmonieren. Jede Grundform der Harmonie entwickelt sich zu einer Klanggestalt und leitet die nächste Harmonie ein. Dadurch entsteht das Gefühl einer in sich ruhigen Grundstimmung der Gesamtkomposition bzw. einem einfachen Zusammenspiel von Elementen. Es geht hier viel weniger um die Entwicklung eines tanzbares Beat wie beispielsweise in der elektronischen Musik. Vielmehr drehen sich die verschiedenen Spuren von sog. Drum-Kits, Percussions, Bass’, Grand Pianos, Synthis und Strings um die Idee einer allgemeingültigen Komposition.
Hannah Weinberger komponiert mit Hilfe von Programmen, die einer Vielzahl ihrer Generation zur Verfügung stehen. Die Einspielung von Live-Musik oder Gesang fällt bei When You Leave, Walk Out Backwards, So I’ll Think You’re Walking In weg. Vielmehr eignet sie sich Elemente an, die von Audio-Programmen vorgegeben werden und deren Rekombination Sache des Benutzers ist. Aneignung, Rekombination, Wiederholung werden zu essentiellen Elementen dieser Arbeit. Und dies nicht nur basierend auf der Praxis Weinbergers sondern auch auf der Wahrnehmung des Betrachters, welcher vollkommen automatisch die Arbeit re-kombiniert wahrnimmt. Hinsichtlich der Einteilung von Musik in Genres lässt sich When You Leave, Walk Out Backwards, So I’ll Think You’re Walking In wohl am ehesten als Ambient bezeichnen, einer Variante elektronischer Musik, die dominiert wird von sanften und langgezogenen Klängen. Minimalistische Beats und Einschübe von World Music finden sich parallel zu anderen Varianten die hier konstant im 4/4 Takt bei einem Tempo von 80 bis 140 bpm (Beats per minute) laufen.
Am Ende der Ausstellung bleibt, was der Titel When You Leave, Walk Out Backwards, So I’ll Think You’re Walking In auf poetisch, melancholische Weises vorwegnimmt. Die Arbeit umgibt jeden der sich in der Ausstellung befindet und jeder nimmt das mit, was er persönlich erfährt. Musikalische Elemente wie Playback, Wiederholungen und Überlagerungen spielen mit der Wahrnehmung. So lösen sich die Grenzen der Räume auf, die bei Hannah Weinbergers Arbeit kaum visuellen Input bieten. Die Fassbarkeit der Ausstellung wird zu einem Soundtrack der unterbewusst erhalten bleibt.
Die Ausstellung wird grosszügig unterstützt von george foundation.
Hannah Weinberger (geboren 1988 in Filderstadt/D) lebt und arbeitet in Basel und Zürich/CH. Weinberger studierte von 2007 bis 2010 Mediale Künste an der Zürcher Hochschule der Künste, wo sie 2010 ihren BFA Abschluss machte. Momentan beendet sie ihren MFA Abschluss an der Zürcher Hochschule der Künste. In 2010 erhielt sie den Reise-Preis der Regionale ´11 in Basel. Hannah Weinberger ist zusammen mit Tenzing Barshee, Nikola Dietrich und Scott Cameron Weaver Gründungsmitglied des Projektraumes Elaine Mgk im Hof des Museum für Gegenwartskunst Basel.
Gruppenausstellungen (Auswahl): Inside/Outside: Dressing the Monument Opening Reception, Lynden Sculpture Park, Milwaukee (2011); Group Affinity, Kunstverein München (2011); Corso Multisala, Kunsthal Charlottenborg, Kopenhagen (2011); Magical & Poetical Structures, Alte Fabrik, Rapperswil (2011); The Village Cry, Kunsthalle Basel (2010); SLIP SNIP TRIP, Karma International, Zürich (2010); Of Objects, Fields, and Mirrors, Kunsthaus Glarus (2010); Bridges & Tunnels, kuratiert von New Jerseyy, Hard Hat, Genf (2009); FILE RIO, Oi Futuro Cultural Center, Rio de Janeiro (2009); The World Is Our Culture, ZHdK, Zürich (2008); Shift (Electronic Arts) Festival, Basel (2008); FILE – Electronic Language International Festival, Sao Paulo (2008). Performances (Auswahl): Forming-Storming-Norming-Performing, Kunstverein München (2011); Kunsthal Charlottenborg, Kopenhagen (2011); PASSAGE(S), Theatre de L‘Usine, Genf (2011); Jam Session, Museumsnacht, Kunsthalle Basel (2011); Regionales Konzert, The Village Cry, Kunsthalle Basel (2010); Transdisziplinäres Konzert, ZHdK, Zürich (2010); Interdisziplinäres Konzert, ZHdK, Zürich (2009).