Die Kunsthalle Basel freut sich, die erste institutionelle Einzelausstellung des in Istanbul lebenden Künstlers Cevdet Erek in Europa zu präsentieren.
Ereks Arbeiten entstehen nicht im Atelier und sind an kein bestimmtes Medium gebunden, vielmehr formuliert der Künstler mit jeder von ihnen ein Statement in einem spezifischen Kontext, indem er sich der Medien und Formate bedient, die jeweils am besten geeignet sind, die Idee sichtbar zu machen – oder diese Idee mit geringstem visuellen Aufwand lediglich anklingen zu lassen. Daher arbeitet Erek häufig mit vergänglichen Formen wie Live-Sound und Performance. Das Interesse des Künstlers an Sound und Rhythmus begründet sich aus seinem Lebenslauf. Erek, der an der Mimar Sinan Universität der schönen Künste in Istanbul Architektur studierte, um dann vier Jahre in einem Architekturbüro zu arbeiten, bewegte sich bereits früh auch in der dynamischen Musikszene von Istanbul; er promovierte später an der musikalischen Fakultät am Zentrum für Musikwissenschaft der Technischen Universität Istanbul und spielt heute Schlagzeug in der von ihm mitbegründeten Istanbuler experimentellen Rockband Nekropsi.
In der Ausstellung in der Kunsthalle Basel ist die neue Arbeit Week (2012) zu sehen, die für den geräumigen, durch ein Oberlicht illuminierten Saal im Obergeschoss konzipiert wurde. Zusätzlich zu der Installation im Ausstellungsraum wurde im Fenster über dem Haupteingang der Kunsthalle eine grosse, blinkende LED-Anzeigetafel WEEK (2012) angebracht, die den Passanten auf der Strasse die Installation im Oberlichtsaal ankündigt. Damit wandelt sich das Erscheinungsbild der nüchternen, klassizistischen Fassade des Gebäudes in das einer nächtlichen Partylocation, wie sie in der ansonsten herrschaftlichen Nachbarschaft von Grossbasel, dem alten Stadtzentrum, das Museen, Theater, Galerien und andere Stätten der Hochkultur beheimatet, kaum zu erwarten ist. Gleichzeitig jedoch befindet sich nur knapp hundert Meter von der Kunsthalle entfernt der legendäre Barfüsserplatz, der noch immer der beliebteste Treffpunkt für die Jugend aus Basel und der gesamten Agglomeration ist, die sich hier freitags und samstags versammelt, bevor sie in die Bars und Clubs der Steinenvorstadt verschwindet, einer geschäftigen und etwas schäbigen Fussgängerzone, die an dem Platz endet (bzw. beginnt). Die WEEK-Tafel stellt eine Verbindung zu dem Nachtleben her, das sich rund um den Platz abspielt, doch da die Ausstellung von Cevdet Erek nur tagsüber geöffnet ist, wird auch ein wesentlicher Unterschied zwischen einem Club und einer Kunstinstitution deutlich. Eine weitere LED-Arbeit, Day (2011), ist in den Ausstellungsräumlichkeiten installiert – blaue Lichtfelder, unterbrochen durch dunkle Intervalle, laufen über das LED-Modul und repräsentieren sämtliche Tage von Ereks Ausstellung; sie setzen sich jeweils aus einer bestimmten Anzahl von Pixeln zusammen, entsprechend den Veränderungen der Tageslänge in Basel zwischen dem 12. Januar und dem 4. März, wobei je eine leuchtende Diode für eine Minute Tageslicht steht.
Die Hauptinspirationsquelle für Ereks Arbeit in der Kunsthalle ist der typische Raum eines Clubs – wie etwa das berühmte Weekend in Berlin. Zum Eingangsbereich eines Clubs gehört üblicherweise ein Korridor, der von der Aussenwelt in den Innenraum führt, ein Übergang, der den Gästen keine Zeit lässt, um ihre Wahrnehmung anzupassen: Die Veränderung der Gegebenheiten, von der Normalität des alltäglichen Lebens draussen zur Feier des Sieges über die Sonne in der Wochenendnacht, ist radikal und abrupt. Der Club ist ein sozialer Raum, der sich durch eine Vielzahl sorgfältig aufeinander abgestimmter Elemente kennzeichnet, die sich zu einem umfassenden Angriff auf die Sinne vereinen: der Beat der Musik, die Lichter und der Rauch, die Hitze der Menge, der Alkohol und die Drogen. Und all dies sind genau die Dinge, die aus der Erfahrung eines Museumsbesuchers normalerweise ausgeschlossen bleiben.
Die Arbeit Week spricht das zentrale Thema in Cevdet Ereks vielfältiger Praxis an: die wechselseitige Übersetzung und Durchlässigkeit zwischen den scheinbar verschiedenartigen Repräsentationssystemen, mit denen wir die uns umgebende Welt begreifen und die unser Leben strukturieren – die Vermessung des Raums (im metrischen System), der Zeit (mittels Kalender und Uhr) und des musikalischen Tempos, gemessen als konstante Zahl von Beats pro Minute. Der Künstler verbindet diese scheinbar objektiven Messsysteme mit anderen, offenbar zufälligen, wie etwa der Zeitleiste von historischen Ereignissen oder dem variablen Rhythmus einer musikalischen Improvisation.
Die Ausstellungsarchitektur im Saal wurde um das Rechteck des imposanten Oberlichts herum konstruiert und betont somit die Tatsache, dass die Ausstellung, im Gegensatz zum Club, nur bei Tageslicht zu betrachten ist (das lediglich bei zwei Anlässen durch Kunstlicht ersetzt wird: während der Eröffnung sowie in der darauffolgenden Nacht, der Museumsnacht). Im Zentrum des Raums steht eine wie ein Totempfahl wirkende Lautsprecheranlage (von der Firma Turbosound, die auch Clubs und Freiluft-Rockkonzerte ausstattet). Der isolierte Beat – aus Samples eines akustischen Schlagzeugs – fungiert als eine Art Diagramm; statt zur auditiven Verführung mit dem Ziel, die Kontrolle über Körper und Geist der Besucher zu erlangen, wird er als eine einfache, fast grafische Repräsentation eingesetzt, als Soundminimum. Klanglich ist die Arbeit als Hör-„Raster“ aus sieben Beats komponiert, die auf der nicht naturgegebenen, sondern vom Menschen festgelegten Einteilung der Woche und deren Einheiten beruhen – den sieben Tagen. Diese sieben Tage werden in mehreren verschiedenen Versionen gespielt, die sich in einem Loop verbinden: in Ereks Week.
Die Ausstellung wurde grosszügig unterstützt von:
Regent Lighting, george foundation
Mit Unterstützung von: MIAM, Istanbul Technical University
Cevdet Erek (*1974 Istanbul/TR) lebt und arbeitet in Istanbul. Erek studierte 1992-1999 Archi-tektur an der Mimar Sinan Universität der schönen Künste in Istanbul sowie 2000-2003 Klang-Engineering und Design am Center for Advanced Studies in Music an der Technischen Universität Istanbul. 2005-2006 war er artist in residence an der Rijksakademie van beeldende kunsten in Amsterdam. 2011 promovierte Erek in Musik am Center for Advanced Studies in Music an der Technischen Universität Istanbul.
Einzelausstellungen (Auswahl): Update, Akinci Gallery, Amsterdam (2011); Ahmet Cevdet Bey, zusammen mit Ahmet Öğüt, Overgaden, Kopenhagen (2011); El Ele, zusammen mit Anna Boghi-guian, Rodeo Gallery, Istanbul (2009); Ankara Modern 1, Masa, Istanbul (2009); Side by Side, m3, Göteborg (2009); On the day I fix a turbine to my belly, Lokaal 1, Antwerpen (2009); A Few Retrospectives, Galerie Akinci, Amsterdam (2008). Gruppenausstellungen (Auswahl): Untitled, 12th Istanbul Biennial, Istanbul (2011); Aksak Ritim/Odd Time Beat, Rodeo Gallery, Istanbul (2011); Art of Climbing Mountains, 303 Gallery, New York (2011); Tactics of Invisibility, Arter, Istanbul (2011); Out of Place, Darat al Funun, Amman (2011); Out of Place, Tate Modern, Level 2, London (2011); Another Country, IFA, Berlin (2010); Unincorporated, Manzara Perspectives, Istanbul (2010); Tactics of Invisibility, Tanas, Berlin (2010); Home Works 5, Ashkal Alwan for Contemporary Arts and the Home Works Academy, Beirut (2010); Tactics of Invisibility, TBA21, Thyssen-Bornemisza Art Contemporary, Wien (2010); I’m not there, Center for Curatorial Studies, Bard College, New York (2009); Centry – Fugacions, La Capella, Barcelona (2009); Columns Held Us Up, Artists Space, New York (2009); Manifesty Destiny, Extra City, Antwerpen (2009); Istanbul, traversées, Palais des Beaux-Arts, Lille (2009); Just in Time, Stedelijk Museum CS, Amsterdam (2006); Poetic Justice, 8th Istanbul Biennial, Istanbul (2003). Performances (Auswahl): Activity Report, Salon, IKSV, Istanbul (2010); Dokuman, zusammen mit Taldans, Centre National du Danse, Paris (2010); SSS, Extra City, Antwerpen (2009); Independence Month, Artist Space, New York (2009); The day I fix a turbine to my belly, Lokaal 1, Antwerpen (2009); Graf, zusammen mit F. Sizanli, M. Kaplan, E. Devries, Istanbul Dance Festival, Istanbul (2008); 4/4, zusammen mit Nekropsi, Platform Garanti, Istanbul (2007); SSS, Stedelijk Museum, Amsterdam (2006); Unruhe Bitte, zusammen mit Alexandra Bachzetsis, Gessneralle, Zürich (2005).