Die Kunsthalle Basel präsentiert The Form of Practical Memory, die erste grosse Einzelausstellung des amerikanischen Künstlers Zachary Formwalt.
Der Ausstellungstitel ist Walter Benjamins Passagen über das Sammeln entlehnt: „Sammeln ist eine Form des praktischen Erinnerns“. Formwalts Arbeit wirft einen Blick auf die Möglichkeit, immateriellen Ideen eine Form zu geben und Prozesse zu materialisieren, deren interne Vorgänge normalerweise undurchsichtig bleiben, während ihre Resultate jedoch von jedem gesehen und gefühlt werden können. Wie das historische Gedächtnis funktioniert und scheitert, wie die Ökonomie arbeitet und kollabiert und wie diese beiden in unbewegten fotografischen Bildern und im Film miteinander verwoben werden können, sind die Schlüsselfragen in Formwalts Arbeit.
Zachary Formwalt verwendet eine Vielzahl von Medien als Mittel zur kritischen Untersuchung von wirtschaftlichen Mechanismen, deren sichtbare Auswirkungen (z.B. Armut oder Wohlstand) nur schwer mit den Prozessen in Verbindung zu bringen sind, die sie hervorgerufen haben (z.B. Bewegungen des Spekulationskapitals). Obwohl der Bereich der Wirtschaft im Bildbestand zeitgenössischer Kultur kaum vertreten ist, da der Fluss des Geldes am besten durch „objektive“ Figuren und Diagramme illustriert zu werden scheint, haben einige der bestehenden Bilder eine starke symbolische Kraft: Arbeiter, welche eine Fabrik verlassen, ein Streik, die Panik an der Börse oder die spiegelnden Oberflächen städtischer Hochhäuser. In unserer Gesellschaft ist die selektive Darstellung ökonomischer Tatsachen ein Mittel zur Machtausübung, da sie eine Auswirkung auf die Konsumenten und Arbeiter hat, deren Optimismus im Hinblick auf die Zukunft eine Voraussetzung für die ungestörte Entwicklung der globalen Wirtschaft ist. Formwalts Interesse richtet sich auf das Aufarbeiten von Abbildungen, die Institutionen und Ereignisse des Marktes darstellen und pars pro toto zu Ikonen des Kapitalismus werden. Formwalts Überprüfung von Bildern umfasst Nahaufnahmen, Zeitlupen, Standbilder, Fragmentierungen und Wiederholungen – diese „Techniken des Betrachters“ (Jonathan Crary) machen es uns möglich, hinter die Bedeutungen zu schauen, welche die Bilder aus der Welt des Kapitals ursprünglich erzeugen sollten.
Im Oberlichtsaal, dem historischen Ausstellungsraum der Kunsthalle Basel, wird Zachary Formwalt ein Ensemble neuer Werke präsentieren, das aus zwei Filmen und mehreren fotografischen Serien besteht. Die Arbeiten sind das Resultat der umfassenden Beschäftigung des Künstlers mit Archivdokumenten und Bildern aus dem Zusammenhang der Geschichte der Volkswirtschaft.
Der neue Film In Place of Capital (2009) nimmt das Gebäude der Royal Exchange in London (1844) zum Ausgangspunkt, um die Unmöglichkeit der Darstellung von ökonomischen Bewegungen in der Fotografie zu untersuchen. William Henry Fox Talbot – der britische Konkurrent von Louis Daguerre, dem französischen Pionier der Fotografie – hielt dieses Scheitern in vier Aufnahmen fest, als er 1845 das Royal Exchange Gebäude porträtiert hat. Der Film wird von vier grossformatigen Fotografien des Künstlers begleitet, die das heutige Gebäude der Royal Exchange zeigen und welche der Künstler aus derselben Position aufnahm wie Talbot 150 Jahre zuvor.
At Face Value (2008), der zweite Film, der gezeigt wird, beschäftigt sich mit der Zeit vor der Grossen Depression in Amerika und Deutschland in den 1930er Jahren. Indem der Künstler die historische Briefmarkensammlung seines Vaters dokumentiert, identifiziert er die Verbindungen zwischen dem Wertverlust des Geldes und der Ikonografie der Marken. So wie beispielsweise die Gegenüberstellung eines deutschen Briefmarkenmotivs mit einer amerikanischen Marke zum Gedenken an den Unabhängigkeitskrieg, die kurz vor der Grossen Depression erschienen ist.
Eine weitere Fotoserie, Economic History at the Antiquariat (2009), zeigt Bücherregale in einem Antiquariat in Amsterdam. Eine grosse Auswahl wirtschaftlicher Theorien – viele davon einander widersprechend und einige bereits überholt – sind auf den abgenutzten Buchrücken ablesbar: Ein Display des Wissens über Marktwirtschaft, von fortschrittlichen Theorien bis zu einfachen Ratgebern, je nach dem Trend ihrer Zeit.
In den beiden angrenzenden kleineren Ausstellungsräumen zeigt Formwalt eine Reihe von Fotografien aus dem weniger bekannten Finanzbezirk am Stadtrand von Amsterdam, wo die Strassen nach berühmten Ökonomen benannt sind und wo die Geschäftsleute an der Ecke des „Karl Marx Stegs“ und dem „John Maynard Keynes Platz“ ihre Zigarettenpause geniessen. Der unbeteiligte Blick der spiegelnden Fassaden der Firmenarchitekturen wird von den Namen der Individuen erwidert und ihre Theorien heraufbeschwört, welche die heutige Weltwirtschaft geformt haben. Eine andere Arbeit enthält eine Reproduktion von Karl Marx’ Vertrag mit dem Verleger Carl Leske aus dem Jahr 1845, in dem ein Vorschuss für das Buch Kritik der Politik und Nationalökonomie festgesetzt ist, welches nie geschrieben wurde. Ein weiterer Teil dieser Arbeit ist das in Zusammenhang mit seinen 1844er Manuskripten häufig reproduzierte Bild eines Gebäudes in der Rue Vanneau 38 in Paris, in dem Marx einst gelebt hat.
< Online-Artikel zur Ausstellung auf Regioartline
Zachary Formwalt wurde 1979 in Albany, Georgia, geboren und lebt und arbeitet seit 2008 als Stipendiat der Rijksakademie in Amsterdam. Er ist Absolvent des School of the Art Institute of Chicago sowie der Northwestern University, Evanston, Illinois, und besuchte von 2004 bis 2005 das Postgraduiertenprogramm Critical Studies an der Kunstakademie in Malmö. Er präsentierte Einzelprojekte in der Elder Gallery in Lincoln (2006) und dem Rooseum Zentrum für Zeitgenössische Kunst in Malmö (2005); er war in Gruppenausstellungen in der Bank Gallery, Durban, in verschiedenen Galerien in den USA, darunter die Gahlberg Gallery in Glen Elly (2004) oder die Mars Gallery in Chicago (2002), sowie an Film- und Videofestivals und öffentlichen Vorführungen vertreten.
Die Ausstellung wird unterstützt von:
Dreyfus Söhne & Cie AG, Banquiers Basel