Für seine aktuelle Einzelausstellung hat Diango Hernández (*1970, Sancti Spiritus, Kuba) eine neue Installation entwickelt, die sich entlang des ersten Saales im Erdgeschoss der Kunsthalle ausbreitet. Diese ambitionierte Arbeit kombiniert eine Vielzahl von Medien, um eine raffinierte Erzählung zu konstruieren, die eine Reihe von teilweise gewöhnlichen und teilweise tief verschlüsselten Referenzen zu den geschichtlichen Ereignissen des 20. Jahrhunderts, wie auch zu den Entwicklungen in der Kunst, die auf die dramatische und nun in grossem Ausmass mythologisierte Geschichte der Revolution in Kuba folgten, beinhaltet. Hernández‘ Auseinandersetzung mit der Revolution basiert auf der Analyse ihrer Ikonographie und der Rhetorik ihrer Propaganda, wie sie in der alltäglichen Sprache, in politischen Slogans und in der Poster-Kunst benutzt wird. Die Installation benutzt häusliche Objekte wie Stühle und andere Büro- und Wohnmöbel, Haushaltsgegenstände, gefundene Bilder, Schallplatten, alle durchbohrt von einer eisernen Wasserleitung, welche die im Raum befindlichen Objekte zur gleichen Zeit verbindet und zerstört. Die Leitung beginnt am entlegenen Ende des Raumes, wo sie aus zwei, auf einem altmodischen Küchenschrank stehenden, Industrietanks ausgeht, um am Anfang des Raumes ganz trocken in einem Wasserhahn zu enden, der in einer frei im Raum stehenden mit Ölfarbe lackierten Tür steckt. Das System gebogener und gekrümmter Rohre schützt und kontrolliert das Gleichgewicht des Raumes, die Gestaltung hält ihn in einer steifen, zusammenfassenden Umarmung. Die häusliche Gemütlichkeit gibt einer vereinheitlichten Erscheinung staatlicher Infrastruktur nach.
Vor einigen Jahren war Hernández an der Gründung von „Ordo Amoris Cabinet“ beteiligt, einer Gruppe von Künstlern und Designern, die eine situationistische Untersuchung in der Politik des Alltagslebens in Kuba durchführten. Die Praxis von „Ordo Amoris Cabinet“ beinhaltete das genaue Betrachten verschiedener selbst gemachter Objekte und provisorischer Lösungen, erdacht von den Einwohnern eines Landes, in dem permanenter Mangel an Waren zur Normalität geworden ist. Das Ersetzen der zentralisierten Wasserversorgung durch das Aufstellen von Wassercontainern mit Rohrsystemen in Wohnungen, der Bau von Radioantennen aus Kabeln und Metallteilen – solche Beispiele von nicht etikettiertem Design – beinhalten eine starke politische Botschaft. Sie sprechen von dem Bedürfnis nach Unabhängigkeit, das in dem alles kontrollierenden Staat nur bescheiden und auf lokaler Ebene ausgedrückt werden kann. Da die Gemeinden in Kuba endlos mit neuen, praktischen Lösungen aufwarten, die ihren Lebensstandard verbessern und ein Minimum an selbst tragenden Existenzen erschaffen, implodiert das bürokratische System des realen Sozialismus und erstarrt in einer Karikatur der Revolution.
Diese Geschichte von unvermeidbarer Selbstauslöschung jeglicher progressiver Vision wird im nächsten Raum erzählt, in dem ein Stuhl mit vielen Kabeln an der Wand befestigt ist. Er lehnt sich nach hinten, die Kabel halten ihn in prekärer Balance und Dachziegel, die sich auf der Sitzfläche stapeln, erzeugen ein notwendiges Gegengewicht.Der Stuhl spielt eine wichtige Rolle in Bildern von Andrzej Wróblewski, einem polnischen Künstler, der 1945 stark an die Versprechen des Kommunismus glaubte und der 1957 starb, bitter enttäuscht und noch immer auf der Suche nach einer künstlerischen Form, welche die „emotionalen Inhalte der Revolution“, so der Titel eines seiner abstrakten Gemälde, übermitteln könnte. Der Stuhl ist ein Werkzeug des Martyriums eines anonymen Individuums, er bedeutet Warten und Qual, aber auch eine gewisse Erhöhung und ein möglicher Entzug jeglicher Rechte.Im ersten Saal beziehen sich die skizzenhaften Malereien und präzisen Zeichnungen von Hernández auf eine Anzahl von Arbeiten von Wróblewski, wie zum Beispiel auf seine berühmte „Shootings“-Serie, die von den Schreckenstaten des Zweiten Weltkrieges handelt.Die Serie von 50 fast identischen – und doch nicht gleichen – Zeichnungen auf den herausgerissenen Seiten eines deutschen Rechnungsbuches zeigt einen ärmlich gekleideten Mann, der seine drei Arme zum Gesicht hebt, während er die Augen schliesst, vielleicht, um sich vor dem Feuer zu schützen, das ihn bald verzehren wird, und vor dem leeren Raum, der ihn umgibt. In Hernández’ Arbeit werden Gewinn und Verlust, Leiden und Enthusiasmus vom vorteilhaften Standpunkt des post-revolutionären Moments heraus neu überdacht. Die Ausstellung gipfelt am Ende des zweiten Raumes in einer melancholischen Video-Arbeit. Die schwarzen Blockbuchstaben auf einer Werbetafel verkünden „!VICTORIA!“, dann verblassen sie einer nach dem anderen in den sauberen weissen Hintergrund: Was am Ende übrig bleibt, ist ein Muster grosser Mauersteine auf der undurchdringlichen Wand.
Diese Ausstellung wird unterstützt von
GRISARD MANAGEMENT AG
Online-Artikel zur Ausstellung auf
[regioartline.org](http://www.regioartline.org/ral/index.php?&id=4&backPID=385&begin_at=15&swords= Kunsthalle Basel&tt_news=1279&L=0)Videocast zur Eröffnung auf
vernissage.tv