Künstlerinnen und Künstler
Mia Bailey, Fabian Chiquet, Gianin Conrad, Krassimira Drenska, Martina Gmür/Yao
Koffi, Pascale Grau, Yvo Hartmann, Dunja Herzog, Regina Hügli, Thomas Isler, Tobias Kaspar, Kathrin Kunz, Anita Kuratle, Jifei Lu, Kim Lux, Tobias Madison, Kaspar Müller, Fabio Marco Pirovino, Olaf Quantius, Holger Salach, Bettina Samson, Hildegard Spielhofer, Lena Maria Thüring, Jan Voellmy, Johannes Wald, Elmar Zimmermann, Andreas Zivkovic
Die Kunsthalle Basel präsentiert im Rahmen der diesjährigen Regionale 27 künstlerische Positionen. Der Jury (Adam Szymczyk, Direktor der Kunsthalle Basel, Annemarie Reichen, Kunsthistorikerin und freie Kuratorin und Simone Neuenschwander, Kuratorin der Kunsthalle Basel) war es bei ihrer Auswahl wichtig, einen Überblick über die Themen und Arbeitsweisen zu geben, mit welchen sich Künstlerinnen und Künstler in und um Basel gegenwärtig beschäftigen und welche durch ihre Aktualität im Kontext der zeitgenössischen Kunst besonders aufgefallen sind.
Einer der Schwerpunkte umfasst in diesem Jahr Arbeiten, die sich mit der spezifischen Geschichte von Städten oder bestimmten historisch wichtigen Orten auseinandersetzen und damit die Frage nach dem kulturellen Gedächtnis einer Gesellschaft stellen. Dazu gehören zum Beispiel Fotografien von Hildegard Spielhofer, die fragmentierte Monumentsockel im Tiergarten in Berlin zeigen oder die Installation von Bettina Samson, die sich mit den territorialen Machtansprüchen auf die kleine Insel, Hans Island, in Nordgrönland beschäftigt. Eine Reihe von Künstlerinnen und Künstlern, wie beispielsweise Lena Maria Thüring, die eine Hip Hop Band in Mulhouse porträtiert hat, oder Thomas Isler, der Gäste in einem Townhouse-Café in Kairo zu den Anschlägen in New York befragte, interessieren sich für Dokumentationen des urbanen Lebens sowie für die gesellschaftlichen Reaktionen auf das politische Weltgeschehen.
Eine Reihe von Werken nehmen Bezüge zur Architektur- und Kunstgeschichte auf und arbeiten mit verschiedenen bildnerischen Prozessen, wobei oft die charakteristischen Eigenschaften des verwendeten Materials oder Mediums im Zentrum stehen, wie etwa die Arbeiten von Tobias Madison, Elmar Zimmermann oder Gianin Conrad. Die intensive Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Formen der Performativität sind unter anderem in den Arbeiten von Mia Bailey, Fabian Chiquet oder Pascale Grau zu beobachten, die vor allem mit den Medien Skulptur und Film arbeiten.
Saal 1
Im Rahmen zweier Atelierstipendien hielt sich Kathrin Kunz (1969) in den Jahren 2001 und 2006/7 für längere Zeit in Paris auf. Die Metropole inspirierte die Künstlerin zu den kleinformatigen Bleistiftzeichnungen, die neoklassizistische und gotische Häuserfassaden umfassen, oft bis ins kleinste Detail wiedergegeben und zwischen einfachen geometrischen Formen und ornamentalen Elementen abwechseln. Neben den verschlungenen Mustern der Fassaden zeigt Kunz auch abstrahierte Ansichten der komplizierten Strassenführungen der facettenreichen Stadt, die in ihrer formalen Reduktion an futuristisch anmutende Kartografien erinnern. Obwohl die Mehrzahl der Motive aus dem Bereich der Architektur stammen, finden sich auch Darstellungen von Menschen, wie beispielsweise auf *Bateau Vedette 1, wo eine Gruppe Touristen zu sehen ist.
Hildegard Spielhofer (1966) zeigt vier Fotografien mit dem Titel *Logik der Macht, 2007, auf denen leere Sandsteinsockel zu sehen sind. Spielhofer entdeckte die Sockel im Berliner Tiergarten auf einem verlassenen Platz, der früher „Grossfürstenplatz“ hiess, benannt nach Zar Paul I., der zwischen 1796 und 1801 Russland regierte und aufgrund des russisch-preussischen Bündnisses oft in Berlin weilte. Einst standen auf den Fundamenten die Allegorien der vier grossen Flüsse Deutschlands: Elbe, Oder, Rhein und Weichsel. Die Skulpturen wurden während des 2. Weltkrieges und durch Umwelteinflüsse stark beschädigt. Da dem Berliner Senat das Geld für die Restaurierung fehlte, hat er 2002 beschlossen, die Skulpturen einzulagern. Die zurückgelassenen Sockel zeigen die Vergänglichkeit von Macht, und obwohl die spezifische Geschichte zwischen Russland und Deutschland, welche die Sockel einst symbolisierten, vergessen gegangen ist, bleibt sie dennoch in den Fragmenten wie ein pièce de résistance präsent.
Das Objekt von Yvo Hartmann (*1961) besteht aus 27 mm dicken gelben Schaltafeln, die zu einer einfachen, körperlichen Struktur zusammengesetzt sind. Die einzelnen Elemente ergeben eine Form, die an ein abstrahiertes Architekurmodell erinnert, in dem Raumvolumen, Stockwerke und architektonische Statik angedeutet sind. Zwischen einer minimalistischen Skultpur und architektonischem Modell changierend, verweist das Objekt mit den Schaltafeln auch auf den öffentlichen Raum und die provisorische Verwendung des Materials als Überbrückung, Abdeckung und Abgrenzung auf Baustellen.
Elmar Zimmermann (*1976) präsentiert ein expressionistisch-abstraktes Bild, zusammengesetzt aus Malerlappen seiner Kollegen, eine Collage von Kunstdrucken aus einem Kalender und Industriefilz-Stücken, die auf loser Leinwand zu einer Stern-Figur kombiniert wurden. Der Künstler verwendet für seine Skulpturen und Bilder Materialien, die er ihrem eigentlichen Gebrauch entwendet und in Reorganisationen in einen neuen Kontext bringt. Dabei interessieren den Künstler oft geometrische Formen, wie Dreiecke oder symmetrische Strukturen, welche in den Bildern und Objekten zusammengefügt werden. So wird beispielsweise die Lichtskulptur aus Neonröhren nur durch einfache, grobe Seile zusammengehalten, die in ihrer Funktion als Befestigung ein Netz aus Dreiecken bilden, so dass ein komplexer mathematischer Körper entsteht.
Die Fotografien von Tobias Madison (*1985) zeigen Ausschnitte von Architekturen, die unsere gewohnten räumlichen Erfahrungen in Frage stellen. Der Künstler hat mit der Kamera zufällig erscheinende Formen in Räumen wie beispielsweise ein Dreieck aus einfallendem Licht eingefangen, so dass sich eine rätselhafte Stimmung in den Bildern entfaltet. Madison beschäftigt sich mit astrophysischen Raumtheorien und den Vorstellungen des Raumes bei den russischen Suprematisten und Futuristen. Die Befragung der räumlichen Wahrnehmung und der ungegenständlichen Darstellung von Raum stehen im Interesse des Künstlers wie es auch das gefaltete Quadrat aus Indigopapier zeigt, in welchem er sich auf das schwarze Quadrat von Kasimir Malevitsch bezieht.
Die installative Arbeit Bild mit Netz, 2007 von Anita Kuratle (*1967) ist ein Ensemble aus einem netzartigen Scherenschnitt aus schwarzem Fotokarton und einem Wandelement. Beide Elemente wurden von der Künstlerin im Raum so angeordnet, dass sie von verschiedenen Blickwinkeln entweder als zwei- oder dreidimensionales Bild lesbar sind. Die Künstlerin setzt sich in ihren Arbeiten unter anderem mit Axonometrie auseinander, die als dreidimensionale Darstellungsmethode von Grundrissen und Formen in der Geometrie wie auch in der Architektur verwendet wird. Obwohl der Scherenschnitt in der Installation flach an der Wand angebracht ist, wölbt er sich durch die perspektivische Verzerrung wie ein Netz voluminös in den Raum aus. Mit dieser einfach scheinenden aber effektiven Irritation macht Anita Kuratle deutlich, wie unsere menschliche Wahrnehmung funktioniert.
Saal 2
Krassimira Drenska (1947) zeigt Arbeiten aus ihren beiden Serien *Joyeux objets perdus, 2007 und Herbarium, 2007. Die Blätter sind Unikatdrucke, die im Flachdruckverfahren mit Tonerfarbe entstanden sind. Die „verlorenen fröhlichen Dinge“ umfassen verschiedene Formen, die durch ihre Rasterung eine körperliche oder teilweise dreidimensionale Wirkung erhalten. Die Flächen treffen sich auf der Bildfläche, überlagern sich und wechseln zwischen grafischen Formationen und Figuration. Die Arbeiten aus Herbarium bestehen aus collageartig zusammengesetzten Pflanzen und Blüten, die eine wissenschaftliche Katalogisierung oder Bestimmung von Gewächsen ironisch verweigern.
Fabian Chiquet (1985) zeigt *Memory Stick, 2007, einen bearbeiteten Baumstrunk, der durch integrierte Boxen diejenigen Geräusche wiedergibt, die bei seiner Bearbeitung entstanden sind. Die Axtschläge des Künstlers wurden mittels Audio-Montage teilweise intensiviert und rhythmisiert. Das Objekt, dem traditionellerweise etwas Statisches anhaftet, wird in der Betrachtung in eine zeitliche Ebene überführt: Seine Produktion aus dem rohen Baumstamm zu der existierenden Form wiederholt sich durch den Ton in einem perfomativen Akt, in dem es seine eigene Entstehungsgeschichte fortwährend dokumentiert. Gleichzeitig bleibt der Künstler als Bildhauer anwesend, da auch seine eigenen Körpergeräusche und Anstrengungen im Objekt gespeichert sind.
Saal 3
Johannes Wald (1980) zeigt neben der hängenden Skulptur *never-ending candle, 2007 im Saal 2 das grosse Objekt emptiness is as big as a tank, 2005. Das Holzobjekt, welches die Form eines Cargo-Containers aufnimmt, lässt in dem proportional ähnlich grossen Raum nur eine schmale Passage für seine Umrundung zu. Das Raumvolumen, das weder einsehbar noch betretbar ist, verdutzt im ersten Moment, lässt aber genau dem Gefühl der Unerreichbarkeit eines Ortes oder eines Raumes Platz, das unsere Vorstellungskraft ankurbelt. Die einzige Öffnung ist durch eine schlauchförmig LKW-Plane verschlossen, die an ein Teil eines Gebläses erinnert. In der Installation von Johannes Wald hat dieses Element keine reale Funktion, es verweist auf unsere Verwirrtheit angesichts der geschlossenen Form, die dennoch eine veränderte körperliche Erfahrung und Wahrnehmung der bestehenden räumlichen Situation bereithält.
Saal 4
Die Videoarbeit Der Traum der Vernunft gebiert Ungeheuer, 2007 von Pascale Grau (1960) ist im Rahmen der Projektreihe *Tableau Vivant der Künstlerin entstanden, die sich einer eigenständigen Kunstform zwischen Bild und Theater angenommen hat, nämlich dem Nach- und Darstellen von bekannten Werken aus der Kunstgeschichte. Als Vorlage hat die Künstlerin Ferdinand Hodlers Die Nacht, 1890 ausgewählt und mit einer Gruppe von befreundeten Künstlerinnen und Künstlern nachgestellt. Das neue Bild zeigt eine Bettenlandschaft mit schlafenden Menschen, die in einem anhaltenden Lichtgeflimmer situiert ist. Indem die Künstlerin ein bekanntes Bild in ungewohnter Form vergegenwärtigt, fordert sie die Betrachter zu einer Neuinterpretation heraus: Ziel des Projektes ist es, das kollektive Gedächtnis, den Bilderschatz und die Werte eines spezifischen Kulturkreises zu reflektieren und zu hinterfragen.
Mia Bailey (1975) zeigt eine Gruppe von Videoarbeiten unter dem Gesamttitel *Flight, 2007, der im Englischen die beiden Bedeutungen „Flug“ und „Flucht“ besitzt. Die Szenen umfassen abstrakte Denkprozesse zu Vorstellungen des Gefangenseins oder den Möglichkeiten des Entkommens. Die Bildmotive beziehen sich teilweise auf Bilder und Nachrichten aus den Massenmedien, wie es beispielsweise die Menschen in Schutzmasken, die hinter einer Wand auf eine unklare Bedrohung warten oder den Frauen in Burkas, die sich statuenhaft im Raum bewegen, verdeutlichen. Bailey verleiht den medial geprägten Motiven in den sorgfältig mit Farben komponierten Settings und mit den rituellen Handlungen eine poetische wie auch surreale Dimension.
Andreas Zivkovic (1975) hat sich während eines dreimonatigen Aufenthalts in Belgrad täglich mit einer Polaroidkamera fotografiert. Diese Selbstporträts sind zu einer kurzen Filmsequenz montiert und mit einem vom Künstler gesprochenen Text in gebrochenem Serbisch unterlegt. *Ja Sam, 2006, ist die Annäherung des in der Schweiz geborenen Künstlers an die Heimat seines Vaters. Während die Selbstporträts keine genauen Schlüsse auf Zeit und Umstände der Aufnahme zulassen, verweist die Tonspur deutlich auf die Familiengeschichte Zivkovics. Da keine Übersetzung vorliegt, ist der genaue Wortlaut für nicht Serbisch Sprechende unverständlich, der starke Schweizer Akzent des Künstlers dabei umso deutlicher. Es entstehen Lücken im Verständnis, etwa, wenn die Polaroids nicht vollständig entwickelt sind – Leerstellen, welche Fragen zu Identität und deren Übersetzung in Bild und Sprache aufwerfen.
Saal 5
Zu sehen sind die Überbleibsel einer künstlerischen Aktion, salopp hingeworfene Kleider, die rund um ein schwarzes Ledersofa herumliegen und ein Perserteppich an der Wand, der dieselben Farbspuren aufweist wie das Paar Turnschuhe auf dem Boden. Sein bester Job, 2007 lautet der Titel dieser neuen Installation von Tobias Kaspar (*1984), die mit der Erwartungshaltung des Betrachters spielt. Kaspars Arbeit rückt nicht das einmalige Ereignis seiner Performance in den Vordergrund, sondern lässt den Schauplatz der Aktion zum eigentlichen Bild werden. Damit befragt Kaspar ironisch die ästhetische Praxis und die Rolle der Autorschaft in der zeitgenössischen Kunst, wie auch den Leistungsdruck, der auf Künstlern oft lastet.
Die Zeichnungen von Jifei Lu (*1979) zeigen Szenen aus dem alltäglichen Leben in einer chinesischen Grossstadt. Im Medium der Tusche, zwischen wässrigen Linienführungen und klar gezogenen Konturen, zeichnet sie Porträts der Stadtbewohner nach. Mit der auf chinesische Kaligrafie verweisenden schwarzen Tusche kann die Künstlerin alle Farben, die zum Grossstadtleben gehören, ausblenden und sich mit Umrissen und fein gezeichneten Details auf die Individualität der Porträtierten konzentrieren. Durch die verschiedenen Intensitäten des Schwarzes und die teilweise blassen Linienführungen treten gewisse Motive in den Hintergrund und präsentieren die Figuren, wie in filmischen Szenen, in Momenten der Bewegung und des Innehaltens.
Über mehre Monate hinweg hat Lena Maria Thüring (1981) in Mulhouse Hip Hopper porträtiert. In enger Zusammenarbeit mit Mitgliedern der Musikgruppe „Metasmorphose“ ist eine Fotografieserie entstanden, die Fragen nach der Identitätsbildung von Heranwachsenden aufwirft. Dabei wollte die Künstlerin mehr über die Selbstdarstellung dieser jungen Männer erfahren – ihre Gestik und Mimik – und ergründen, inwieweit sich die von den Medien geprägten Rollenbilder mit der Selbstwahrnehmung vermischen. Sie hat so unter anderem auch Interviews mit den jungen Männer gemacht, welche sie mit Video dokumentierte. Die vordergründig offensiven Gruppenbilder mit Goldketten und Markenkleidern bekommen Risse, wenn unklar wird, ob die Kapuze als „coole“ Geste tief ins Gesicht gezogen wird oder sich der Junge dahinter versteckt. Mit *chez eux (Mulhouse), 2007 wirft die Künstlerin Fragen zu soziokulturellen Phänomenen auf und konfrontiert uns nicht zuletzt mit möglichen Vorurteilen unsererseits.
Ohne Titel (intensive care), 2007, von Kaspar Müller (1983) zeigt drei kleinformatige Porträts einer jungen Frau. Diese schaut forsch in Richtung des Betrachters und scheint ihn geradezu herauszufordern. Die Haare der Frau suggerieren dabei Bewegung, indem sie auf jedem Bild anders ins Gesicht fallen. Kaspar Müller bedient sich auf humorvolle Art der Technik der Aquarellmalerei, welche sich in ihrer Farbgebung und Anwendung an Hobbymalerei oder Karikaturzeichnungen anlehnt. Kaspar Müller schafft in dieser Arbeit einen Moment der Irritation, der den Betrachter dazu anregt, über die Mechanismen und Stilvorgaben der zeitgenössischen Kunst nachzudenken. Neben den Aquarellen zeigt Müller die kleine Skulptur *Ohne Titel (blue rope), 2007, die nicht einfach ein blaues Seil zeigt, sondern dies erst durch den Eingriff des Künstlers wurde: Der Künstler hat einen Strick, der eigentlich zur Befestigung verwendet wird, mit blauer Farbe übergossen, so dass er eine starre, unbewegliche Form erhielt.
Der Titel der Arbeit von Fabio Marco Pirovino (1980), *The Epiphany of Jan Grzewski, 2007, bezieht sich auf die Geschichte eines Polen, der 1988 ins Koma fiel und erst in diesem Jahr wieder erwachte, eine veränderte gesellschaftliche Situation vorfindend. Vor dem Hintergrund dieser Geschichte setzt sich Pirovino mit den Verschiebungen von Machtverhältnissen, deren gesellschaftlichen Auswirkungen und der Brüchigkeit vermeintlich fester Strukturen auseinander, indem er die Möglichkeiten von Repräsentation befragt. So werden zwei fast identische Fotografien verschneiter Tannen nebeneinander gehängt oder abgeleitet von einem Quader eine Vielzahl an Zeichnungen angefertigt, die sich fortlaufend modifizieren. Die Veränderungen seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion werden Sinnbild für bildnerische Entscheidungsprozesse: eine einmal gewählte Form birgt eine Vielzahl weiterer Möglichkeiten in sich.
Kim Lux (1973) zeigt eine grossformatige Wandkomposition mit dem Titel *Diptychonx:Diptychon9 (Abstandsfaktor: 1,25), 2007, die auf einem konzeptionellen, mathematischen Regelwerk beruht, das sich der Künstler selbst auferlegt hat. Es handelt sich dabei um quadratische MDF-Platten, welche in ihrer Hängung und Anzahl auf die jeweilige Ausstellungswand reagieren. Vier MDF-Platten sind das Grundelement mit dem Format 30.5 x 30 cm, das sich in Etappen zu immer grösseren Quadraten verdoppeln kann, wobei die Abstände zwischen den einzelnen Vierecken variabel bleiben (z.B. Etappe#3 wäre 2 x 2 x 2 Quadrate). Die Grösse der Arbeit könnte sich so in unendlicher Fortsetzung steigern. Die Arbeit zeigt die Faszination des Künstlers an der Undarstellbarkeit des Unendlichen, wobei Referenzen und Arbeitsweisen der Konzeptkunst und der Minimal Art der 1960er Jahre aufgenommen werden.
Treppenaufgang
Fabian Chiquet (1985) zeigt auf zwei Monitoren seine Videoarbeit *I decay, die er zusammen mit seiner Band „The bianca Story“ realisiert hat und die Ankündigung zu der Live-Musikperformance I don’t like Beuys/Boys, welche der Künstler und die Band anlässlich der Regionale8 am 27. November 2007, um 20 Uhr im Stadtkino Basel präsentieren werden.
Der experimentelle Musikfilm I decay von Fabian Chiquet nimmt die Erzählweise und Ästhetik von Musikvideoclips auf und handelt von einem jungen Mann, dessen Umfeld auseinander zu brechen droht. In der ständigen Auseinandersetzung mit seiner heterogenen grossstädtischen Umgebung, gelingt es der Hauptfigur schliesslich, sich dem Chaos und der Auflösung zu entziehen und sich selbst zu finden. In der Musikperformance wird die Band „The bianca Story“ ihre Musik mit dem Film I decay und den Videos des Künstlers Jan Van Oordt kombinieren und in einem ortspezifischen Setting Film, Performance und Musik miteinander verbinden. Nach der Aufführung im Stadtkino wird anstelle der Ankündigung des Life-Events eine neue Videoarbeit entstehen, die auf dem zweiten Monitor zu sehen sein wird.
Saal 10 (Oberlichtsaal)
Bei dem 2004 bis 2007 entstandenen Fotoprojekt Ein Stück Europa untersucht Regina Hügli (*1975) die Beziehung von Landschaft und Mensch. Die Arbeit setzt sich aus zwei unterschiedlichen Bildsträngen zusammen, die ineinander verwoben ein kompaktes Ganzes bilden. Der Wiener Augarten, wo sowohl die Porträts von Parkbesuchern als auch die Landschaft aufgenommen wurden, fungiert als Repräsentation eines grösseren Ganzen: Im Kleinen wird hier sichtbar, was die ganze Region und ihre Bewohner im Verlaufe der Zeit geprägt hat. Verschiedene Generationen und Kulturen treffen im idyllischen Barockambiente des Parks aufeinander, der seinerseits zahlreichen Veränderungen ausgesetzt war und ist, was durch die Flaktürme aus dem 2. Weltkrieg deutlich wird, welche die Landschaft des Parkes prägen.
Mit der Installation Orientalisches Café, 2007, hat Thomas Isler (*1967) das Townhouse-Café von Kairo in den Ausstellungsraum transferiert: Plastikstühle, Metalltische und die Möglichkeit bei einer Tasse Tee zu Verweilen. Dazwischen stehen Monitore mit Ausschnitten aus Gesprächen, die der Filmemacher mit Gästen des Cafés über mehrere Monate hinweg geführt hat. Er fragte nach den persönlichen Erinnerungen an den Tag der Anschläge auf das World Trade Center in New York und erhielt Antworten, in denen die daraus folgenden sozialen und ökonomischen Auswirkungen im Alltag der Interviewten zum Ausdruck kommen. Indem Thomas Isler – der mehrheitlich als Dokumentarfilmer tätig ist – eine authentische Umgebung nachstellt, wirft er einen kritischen Blick auf die von den Medien geprägte Rezeption der arabischen Welt und befragt nicht zuletzt auch seine eigene dokumentarische Praxis. Konfrontiert mit den individuellen Aussagen der Männer und Frauen aus Kairo, bietet die Arbeit eine Möglichkeit sich auf einen differenzierteren Diskurs einzulassen.
Das Projekt schöne Frisur, 2007 von Martina Gmür (1979) und Koffi-Yao (1971) ist Teil von Beobachtungen, die beide auf Reisen in Kanada und in Cote d’Ivoire gemacht haben. Die Kooperation besteht aus einer Reihe von Holztafeln, die Köpfe mit populären Frisuren afrikanischer Coiffeur-Werbetafeln zeigen. Die verschiedenen Frisurtypen stehen stark unter dem Einfluss von Modellen aus den afro-amerikanischen Gemeinden und folgen so nicht nur ästhetischen Gesichtspunkten, sondern sozialen Werten. Neben der Reflexion über spezifische soziokulturelle Veränderungen zeigen die Bilder auch die Modifizierungen von Motiven des afrikanischen Kunsthandwerks. Martina Gmür präsentiert zu den Tableaus zwei Zeichnungen mit Rasierapparaten an spiralförmigen Kabeln, welche die Reihe von Köpfen einrahmen. Das Motiv hat die Künstlerin während ihres Stipendienaufenthalt in Montréal entwickelt und bezieht sich auf die Beobachtung, dass sich die Männer im Winter ihre Haare und Bärte dicht wachsen lassen. Im Projekt schöne Frisur verweisen die Rasierapparate auf die „Tondeuse“, welche das Werkzeug ist, das meist zum Schneiden der afrikanischen Frisuren benötigt wird.
Gianin Conrad (1979) zeigt seine aktuellste Arbeit *Nasszelle, 2007, eine vollständig mit feuchtem Ton ummantelte Einheit, die in ihrem Innern eine Toilette und ein Lavabo, ebenfalls ganz aus Lehm, realistisch nachbildet. Der alltägliche Ort der Hygiene wird vom Künstler mit dem organischen, natürlichen Material des Lehms gebaut, welches gewöhnlich im Aussenraum verwendet wird. Die Konstruktion, die zu den effektivsten und einfachsten Bauweisen von Häusern gehört, erinnert auch an archaische Zeiten, welche die Errungenschaft der modernen Zivilisation wie fliessendes Wasser oder Abwasserleitungen kontrastieren. Gleichzeitig ist für Conrad das Arbeiten mit der formlosen, unbearbeiteten Materie vor allem auch eine bildhauerische Herausforderung, das Modellhafte des Raumes zwischen realistischer Nachbildung und Artifizialität einer konstruierten Plastik changieren zu lassen.
Die drei Öl- und Acrylbilder von Olaf Quantius (1971) stammen aus seiner Serie der *nomad paintings, 2007, in denen er sich mit einfachen Architekturen und Strukturen von Hütten auseinandersetzt. Die Bilder zeigen teilweise verlassene Speicher und Scheunen, die der Künstler in der Umgebung seines Ateliers in Hégenheim entdeckt hat. Die Hütten besitzen aber keine Gemütlichkeit und verdeutlichen weder Anzeichen einer Behausung noch einer anderen Nutzung: Es sind Bauten, die an vielen Orten gefunden werden können. In Quantius’ Bildern werden die einzelnen Elemente der Holzkonstruktionen, die Fassadenteile und Oberflächen, genau untersucht und ihre Formen und Strukturen auf der Bildfläche umspielt. Das Nomadische als etwas, das ständig in Bewegung ist, ist so vor allem in den verschiedenen malerischen Prozessen und dem Nebeneinander von Gegenständlichkeit und Abstraktion zu erkennen.
Holger Salach (1974) hat einen Stipendienaufenthalt in Genua genutzt, um neue Arbeiten zu produzieren sowie seine Auseinandersetzung mit dem Medium der Fotografie weiter zu entwickeln. Diese manifestiert sich nicht nur in einer grossformatigen Aussicht auf die Altstadt Genuas *Veduta (di Genova), 2007, sondern auch in den Keramiktellern, die der Künstler malen liess, basierend auf fotografischen Aufnahmen von schlafenden Hunden in Pompeji. In der durch den Vulkanausbruch verschütteten und heute fast gänzlich wieder freigelegten Stadt leben zahlreiche Hunde, die von den Massen von Touristen gefüttert werden. Der Titel der Arbeit Kommensale, Architektur (im Ruhezustand), 2007, verweist mit der Bedeutung des Wortes „Kommensale“ als Form des Zusammenlebens zweier artfremder Organismen, bei welcher der eine Partner vom anderen, dem Wirt, profitiert, auf den parasitären Kreislauf zwischen Hunden, den Touristen und der Stadt.
Saal 11
Jan Voellmy (1978) zeigt *shine on, 2007, ein Video, das einen sich um seine eigene Achse drehenden Diamanten zeigt. In einer kurzen Sequenz beginnt er, begleitet von einer kratzenden Spieldosenmusik, zu rotieren und bricht das imaginär einfallende Licht in seiner kristallinen Struktur. In Voellmys Film zeigt sich der Brillant im Medium des animierten Films in absoluter Künstlichkeit und spielt gleichzeitig mit der kulturellen Bedeutung von echten Diamanten, ihrer Zeitlosigkeit, Kostbarkeit und perfekten Schönheit aufgrund der geometrischen Struktur. Präsentiert als eine beginnende und endende Kreisbewegung, die durch den Filmloop wie ein Uhrwerk immer wieder aufgezogen wird, verweist der Stein genauso auf die Ewigkeit wie auf die Realzeit seiner Betrachtung.
Der Titel von der Installation von Bettina Samson (1978), *Operation Hurricane, 2007, bezieht sich auf den Codenamen einer kanadischen Militärmission in der Arktis, welche jedes Jahr die Hoheitsansprüche des kanadischen Staates auf die kleine Insel Hans Island demonstriert. Auf der vom Eis umschlossenen Insel wird regelmassig die kanadische Flagge ersetzt, da diese aufgrund des harten Klimas immer wieder zerstört wird. Der Staat Dänemark, der die gleichen Ansprüche auf die Insel stellt, antwortete mit ähnlichen Operationen: Durch die Klimaerwärmung wäre beim Schmelzen des Eises Fischfang und die Suche nach Erdöl möglich. Samson hat in ihrer Installation Pressemeldungen des Konfliktes zwischen den beiden Ländern auf verschiedene Module angebracht. Ein Anemometer (Windmesser) auf dem Dach der Kunsthalle reguliert ihre Beleuchtung: Bläst der Wind draussen stärker als 4 km/h beginnen sich die Elemente drinnen zu erhellen. Die Installation reagiert ironisch auf die geopolitischen Nachrichten, da die Lesbarkeit des Textes von der Stärke des Windes abhängt und verweist aber auch auf das extreme Klima auf Hans Island, wäre doch ein Sturm die optimale Präsentation für die Arbeit.
Saal 12
Dunja Herzog (1976) zeigt fünf Kleintierkäfige mit offenen Türen. Der Titel *FLUCHT bezieht sich in dieser Arbeit weniger auf mögliche Ausreisser, als viel mehr auf die Schattenwürfe, die sich hinter den an der Wand hängenden Käfigen erheben. Mit einem Strahler flutet die Künstlerin den Raum so mit Licht, dass eine perspektivische Tiefe der Gitterstäbe entsteht, die an Architekturen erinnert. Die feinen Schattenlinien nähern sich Bleistiftzeichnungen von Gebäudeumrissen an, wobei Perspektive und Volumen je nach Blickwinkel anders gesehen werden können. Die Umfunktionierung und die freie Präsentation der Käfige deuten gleichzeitig auch die Metapher für Flucht an, vielleicht als Reflexion auf die aktuelle Flüchtlingsthematik in Europa wie auch als Aufforderung zum freien Denken und der Befreiung von gesellschaftlichen Ängsten.
Weitere Informationen zur Regionale8: http://www.regionale8.net/