Kuratiert von Simone Neuenschwander
Die Ausstellung POOR THING bringt Arbeiten von acht internationalen Künstlerinnen und Künstlern in den historischen Räumen der Kunsthalle zusammen. Nach der umfangreiche Renovation von 2004 ist der ursprüngliche architektonische Charakter der fünf verschieden grossen Räume im Untergeschoss, in der die Ausstellung stattfindet, verändert worden, aber in den Details von Friesen, Wandpfeilern und Oberlichtstrukturen immer noch sehr präsent. Mit ihrer eindrucksvollen Erscheinung, den weissen Wänden und dem Oberlicht folgen die Säle dem Modell des zeitgenössischen Ausstellungsraumes, welches im Zuge des 19. Jahrhunderts entstanden ist und im 20. Jahrhundert von vielen Künstlerinnen und Künstlern herausgefordert wurde. Die eingeladenen Künstlerinnen und Künstler reagieren auf individuelle Weise auf den vorgegebenen Ort: Sie haben sich in ihren Arbeiten konkret mit der Architektur der Kunsthalle und deren geschichtlichem Kontext beschäftigt oder bespielen die Räume mit raumgreifenden Interventionen, Objekten und fragilen, Prozess andeutenden Skulpturen, die veränderte Raumwahrnehmungen produzieren.
Die Arbeiten der Künstlerinnen und Künstler nehmen Referenzen zur Minimal Art und Konzeptkunst der 1960er und 1970er Jahre auf, formulieren diese jedoch um: Sie entlehnen sich deren Motive oder konzeptuelle Verfahrensweisen, um eine eigene Antwort auf die heutigen veränderten gesellschaftlichen Bedingungen zu artikulieren. Die Künstlerinnen und Künstler arbeiten bevorzugt mit einfachen, unbearbeiteten oder instabilen Materialien, wie sie etwa von Robert Morris (z.B. Filz) oder Eva Hesse (z.B. Schnur, Gummi oder Latex) seit Mitte der 1960er Jahre gebraucht wurden, die sich gegen die industrielle Kühle und die permanenten Materialien der Minimal Art wendeten. Die einfachen und spröden Materialien enthalten für die Künstlerinnen und Künstler die Fähigkeit, persönliche Themen und die eigenen Beobachtungen des Alltags aufzunehmen. Sie untersuchen spielerisch deren skulpturale Qualitäten oder arbeiten mit alltäglichen Gegenständen, die sie durch ungewöhnliche Präsentationsformen aus ihrem gewohnten Kontext lösen. Zwischen Abstraktion, der Repräsentation von unbelebten Dingen und anthropomorphen Formen sowie gefundenen Objekten, eröffnen die Arbeiten assoziative Erzählungen und neue Bedeutungsebenen. Sie sind so auf produktive Weise „poor“ und „pure“ zugleich.
Die Arbeitsweise des norwegischen Künstlers Knut Henrik Henriksen (1970) ist die eines improvisierenden Architekten, der mit skulpturalen Interventionen bestehende räumliche Strukturen akzentuiert oder transformiert. In der Kunsthalle zeigt er eine hängende Deckenkonstruktion aus einfachen Holzlatten. Diese verändern die Gestalt des grossen, quadratischen Saals, indem sie dessen ganze Fläche in einer Höhe von 2.40 m – die Standardhöhe von Wohnungen in Norwegen – überziehen. Die Holzlatten in ungeschnittenen, unterschiedlichen Standardlängen hat Henriksen nebeneinander gesetzt, so dass sie in der Mitte der Decke eine enge, zackenförmige Öffnung bilden, durch welches das Oberlicht des existierenden Raumes sichtbar bleibt.
Für ihr Objekt hat die Basler Künstlerin Karin Hueber (1977) die Grundrissflächen der unteren Räume der Kunsthalle sorgfältig analysiert. Sie erscheinen im raumgreifenden Objekt in verkleinertem Massstab in einer in sich gefalteten, gekippten Form. In einer prekären Statik zeichnen die Eisenstangen immaterielle Volumen in den Raum; seine Festigkeit erhält das Objekt durch eine Wand von vorgefundenen, mit glänzender Farbe lackierten Holzplatten. Die elegante Skulptur birgt in seiner, eine irreale Raumlösung andeutenden, Gestalt, Anziehendes und gleichzeitig Unbehagliches, was den Betrachter über die Funktion und Wahrnehmung gewohnter Raumstruktur nachdenken lässt.
Die schottische Künstlerin Karla Black (1972) arbeitet für ihre Skulpturen meist mit Rohmaterialien wie Gipspulver und Vaseline, die sie mit weiblich konnotierten Stoffen wie Gesichtspuder, Lippenstift oder Hautcrème kombiniert. Diese Materialien verweisen nicht nur auf ihre kulturelle Verwendung und psychologischen Bedeutungen, sie treten in Blacks fragilen und prozess-orientierten Arbeiten auch der Geschichte der Skulptur und Malerei gegenüber, die vor allem von der „grossen“ männlichen Künstlerfigur dominiert ist. In der Kunsthalle präsentiert sie eine grosse Bodenarbeit aus Zement in seiner pulvrigen, trockenen Form und eine fragile hängende Arbeit aus hauchdünnem, transparentem Zellophan.
Der Basler Künstler Kilian Rüthemann (1979) beschäftigt sich in seinen Arbeiten ebenfalls mit den skulpturalen Eigenschaften von rohen, alltäglichen Werkstoffen. Rüthemann zeigt eine ca. 4 m lange Eisenstange, die scheinbar schwerelos in den Raum hineinragt und eine Arbeit aus Dachteerbahnen, die Wellen am Boden werfen. Beide Arbeiten umkreisen das Interesse des Künstlers an der Überwindung der Schwerkraft sowie am Verhältnis von Zufall und künstlerischem Eingriff.
Die in Basel lebende deutsche Künstlerin Dagmar Heppner (1977) hat ein installatives Setting mit architektonischen Elementen, Objekten und Fotografien entwickelt. Sie präsentiert unter anderem eine gekrümmte Wand aus gelochten Holzplatten, welche die gewohnte Raumflucht des ersten langen Saals aufbricht. Die Wand schafft mit der aufgesprühten, auslaufenden blauen Farbe einen Entmaterialisierungsprozess, der die visuelle und körperliche Erfahrung von Nähe und Distanz sowie eine Begrenzung und gleichzeitige Öffnung des Raumes thematisiert.
Der englische Künstler Ian Kiaer (1971) arbeitet meist mit Installationen aus fragilen Materialien wie Papier, Zellophan oder Styropor, die er mit Referenzen zur utopischen Architekturgeschichte, Literatur oder Philosophie verbindet. In seiner aktuellen Arbeit hat sich der Künstler mit mehreren Objekten und Modellen mit der Geschichte des Kunsthallengebäudes auseinandergesetzt sowie mit den veränderten Vorstellungen hinsichtlich der Präsentation von Kunst seit der Moderne.
Der Basler Künstler Martin Heldstab (1971) beschäftigt sich mit Gebrauchsgegenständen des Alltags wie Holzpaletten oder Glühbirnen, die er in seinen Arbeiten mit minimalen Verschiebungen hinsichtlich ihrer ursprünglichen Funktion verändert. Er präsentiert neben anderen Werken eine Wandarbeit aus Dachlatten, in welche bemalte Glühbirnen in bestimmten Sequenzen eingesetzt sind. An der Wand umfassen die Dachlatten und Glühbirnen eine rhythmische Variation gleicher Elemente, die auch an ein abstrahiertes Landschaftsbild erinnern.
Der amerikanische Künstler Robert Breer (1926) ist mit seiner Werkgruppe der Floats (dt. gleitende, treibende Teile; „Flosse“) in der Ausstellung vertreten. Der Künstler arbeitet seit den 1950er Jahren mit den Medien Malerei, animiertem Film und Skulptur, in welchen er intensiv die Erfahrung von abstrakten Formen in realer Zeit und im Raum untersucht. Die Floats, meist aus einfachem Styropor geschnittene geometrische Formen, bewegen sich subversiv mit nicht sichtbaren Motoren frei im Raum und verändern das vormals sichere Terrain des Ausstellungsraums.
Trotz der bescheidenen Gesten, mit denen die Künstlerinnen und Künstler im Raum arbeiten, schreiben sie sich selbstbewusst mit ihren Arbeiten in die Räume der Kunsthalle ein und aktivieren den Betrachter, der auf ungewohnte und überraschende Situationen trifft.
Online-Artikel und Video der Eröffnung auf
Vernissage-TV
Die Ausstellung wird grosszügig unterstützt von:
Martin Hatebur
nationale suisse
Office for Contemporary Art Norway