Mit dem Begriff „Mona-Lisa-Effekt“ wird die optisch-psychologische Wirkung beschrieben, die das berühmte, heute in der Sammlung des Louvre befindliche Gemälde von Leonardo da Vinci ausübt. Wie als Beleg für Leonardos Meisterschaft scheint der Blick der lächelnden Mona Lisa den Betrachtern zu folgen, während sie sich durch den Raum bewegen – sofern sie sich überhaupt bewegen können, da das durch kugelsicheres Glas, zwei Absperrungen sowie Museumswärter geschützte Gemälde in der Lage zu sein scheint, den Besuchern einen einzigen Blickwinkel aufzuzwingen, den sie als Teil der einströmenden Menschenmenge einnehmen müssen, wobei ihre Bewegungsfreiheit so weit eingeschränkt ist, dass sie lediglich ihre Hände heben und Fotos schießen können.
Georgia Sagris Ausstellung mit dem Titel „Mona Lisa Effect“ beschäftigt sich mit dem physischen wie politischen Phänomen der Bewegung sowohl innerhalb wie außerhalb von Galerieräumlichkeiten, indem sie durch eine Reihe performativer, rhetorischer und technischer Elemente den Ausstellungsraum neu organisiert. Die „Bewegung“ kann darüber hinaus als natürliche Disposition des Menschen zur (und als Recht auf) Mobilität verstanden werden, zur Versammlung, Zerstreuung und zum erneuten Zusammenkommen. In Sagris Interpretation des Mona-Lisa-Effekts wird der vom Kunstwerk nachgebildete Blick somit zu einer Metapher für die Beständigkeit des überwachenden, kontrollierenden Blicks der Herrschaft – der verstreuten politischen Macht, die in der gegenwärtigen Gesellschaft das Leben aller Subjekte durchdringt. Diese „weiche“ Allgegenwärtigkeit der Macht ist inzwischen völlig in unser Leben als Staatsbürger integriert – heute ein Bürger zu sein ist gleichbedeutend mit der Unterwerfung unter die Biopolitik als jener Form der Macht, die sich auf alle Aspekte des menschlichen Lebens auswirkt, während die Sphären des Privaten und des Öffentlichen zu einem untrennbaren Ganzen verschmelzen.
An der Spitze der zum Oberlichtsaal führenden Treppe dient ein auf einem Flachbildschirm gezeigtes Video als Einführung, Anleitung und Leitfaden zur Ausstellung. Es wurde, im Vorgriff auf die Erfahrungen der Besucher in der Ausstellung, als eine Art Trailer geschaffen und verweist auf eine Bandbreite möglicher Handlungen, die die Besucher nach Betreten der Ausstellung ausüben können oder sehen werden.
Eine große Wand, deren Vorderseite eine Tapete mit einem Mauerwerkmuster bedeckt, trennt den Hauptsaal in zwei Bereiche. Ein auf der rechten Seite der Wand ausgesparter Durchgang erlaubt den Besuchern, die nachfolgenden Räume zu betreten. Durch die Ziegelwandimitation wird ein Außenraum evoziert: Eine derartige Wand trennt ein Gebäude von der Außenwelt ab und schafft damit eine Grenze zwischen dem geschlossenen Raum und dem, was als öffentlicher Raum bezeichnet wird. Die roten Ziegel lassen zudem an Fabriken des frühen Industriezeitalters denken, an die rudimentärste Waffe, die bei Unruhen in Städten zum Einsatz kommt – der Ziegelstein –, oder an einen Ort, um politische Botschaften anzubringen oder aufzusprühen. Die den makellosen neoklassischen Saal überragende Wand spielt auch auf die brutalsten Formen der Unterdrückung wie Inhaftierungen und Exekutionen an. An den Seiten beließ Sagri die Wand offen, wodurch deren innerer Aufbau sichtbar und damit die Künstlichkeit der Konstruktion offenbart wird, während die verputzte Rückseite weiß verbleibt und somit hinter der Wand einen herkömmlichen Galerieraum schafft.
Im Verlauf der Ausstellung wird Sagri in einem eigens angefertigten Overall, auf den ihr eigener Körper in Alltagskleidung aufgedruckt ist, vor der Wand und um die freigelassene Ecke herum präzise Bewegungen vollführen. Diese sind in vier Sequenzen unterteilt und werden in wechselnden Abständen mit unterschiedlicher Dauer aufgeführt. Die Bewegung der Performerin ist entlang der Wand von links nach rechts ausgerichtet und unterstreicht damit die Sequentialität, die Linearität und die beinahe kinematografische Qualität der Performance: ein Aufbau von Spannung, Handlung, Kulmination und schließlich die Wiederholung der Sequenz.
Sparsam in den Sälen verteilte weiße Wandbeschriftungen hängen in derselben Höhe, die üblicherweise den Schildern in einem Museum vorbehalten ist, und imitieren deren Gestaltung. Man kann sich vorstellen, wie man durch den Saal schlendert, Gemälde oder Zeichnungen betrachtet, um dann Titel und Datum der Arbeit und den Namen der Künstlerin oder des Künstlers zu überprüfen. Hier jedoch verweisen die Beschriftungen auf etwas, das sich weit außerhalb der Räumlichkeiten befindet. Auf jedem Schild stehen ein Name (der einer Person oder einer Gemeinschaft), ein Datum sowie QR-Codes – eine Art Barcode, der sich mit Programmen, die für die meisten Mobiltelefone gratis verfügbar sind, auslesen lässt –, wodurch die Besucher sofort nach dem Einscannen des Codes auf einer Webseite abgelegte Inhalte abrufen können. Die Ausstellung erweitert sich somit auf verschiedene externe Orte und Narrationen, die von Videoarbeiten, die Sagri bei befreundeten Künstlern in Auftrag gegeben hat, über Musikstücke und Essays bis hin zu Webseiten bestimmter Organisationen reichen (wie etwa das besetzte Embros-Theater in Athen, das als Ort für selbstorganisierte politische und künstlerische Aktion während der jüngsten Wirtschaftskrise eine bedeutende Rolle gespielt hat, oder das Künstlerkollektiv CAGE).
Im zweiten Saal ist das Panorama einer großen, auf PVC gedruckten Fotografie zu sehen, die in einer eigens angefertigten Vorrichtung durchgehend in einer Richtung abgerollt wird. Das Bild wurde im Athener Viertel Exarchia, das als Heimstätte der Anarchisten gilt, an dem Ort aufgenommen, wo am Abend des 6. Dezember 2008 ein Polizist den 15-jährigen Schüler Alexis Grigoropoulos erschossen hatte. Die darauffolgenden Unruhen schlugen in einen generellen Protest gegen das systemische Scheitern des Staates mitsamt der allseitigen sozialen Ungerechtigkeit und der wachsenden Armut um. Dies war der Beginn einer Konfrontation zwischen der Staatsmacht und den Bürgern, die durchaus noch nicht beendet ist, sondern sich bis heute fortsetzt und dabei auf die verschiedensten Bedürfnisse eingeht, unterschiedliche Formen annimmt und eine wachsende Zahl von Strategien der Selbstorganisation umfasst. Das von Sagri angefertigte Panorama zeigt eine Wand, die über und über mit Graffitis bedeckt ist, welche sich verschiedenen politisch aktiven regierungskritischen Gruppierungen zuschreiben lassen, sowie zwei Mahnmale – eine vom Staat angebrachte Gedenktafel sowie eine kleine, von Grigoropoulos’ Verwandten und Freunden installierte Tafel.
Im dritten Saal wird in einer kleinen Plexiglasvitrine eine einzelne Münze ausgestellt – ein amerikanischer Vierteldollar, der auf eine Eisenbahnschiene gelegt und zu einer dünnen, ovalen Form gewalzt wurde, die einem Plektrum ähnelt, wobei George Washingtons Gesicht merkwürdig entstellt ist und die Worte „Liberty“ und „In God we trust“ kaum mehr leserlich sind. Diese gewaltsame Umformung – von Geld zu Materie – scheint auf die Möglichkeit einer umfassenderen Veränderung zu verweisen sowie auf die Hoffnung, dass die derzeitige Ordnung der Dinge womöglich doch nicht so unveränderbar ist, wie sie stets zu sein scheint.
Außerhalb der Kunsthalle wird an verschiedenen Orten in Basel eine Reihe von Plakaten verteilt werden, auf denen die Künstlerin zu sehen ist, wie sie sich den in ihrem Atelier gemalten Gemälden nähert, und die mit Texten versehen sind, die auf in der Vergangenheit geschehene, in der Gegenwart geschehende oder in der Zukunft geschehen werdende Ereignisse anspielen.