Sirah Foighel Brutmann and Eitan Efrat

Journal

In Sirah Foighel Brutmann und Eitan Efrats erster Ausstellung in der Schweiz ist Journal Werk- und Ausstellungstitel. Die aus Israel stammenden, in Brüssel lebenden Künstler präsentieren zwei Werke, deren Ausgangsmaterial Fotografien sind: Journal (2013) und Printed Matter (2011). Es handelt sich dabei um Bilder aus dem fotografischen Archiv André Brutmanns (1947–2002), Sirah Foighel Brutmanns Vater, der als ausländischer Pressefotograf in Israel und Palästina tätig war. Brutmanns Fotografien deckten die täglichen Nachrichten ab, neben anderen Ereignissen gehörten der Israel-Palästina Konflikt, die Erste und Zweite Intifada, aber auch alltägliche, politische sowie soziale Ereignisse dazu, die in Magazinen wie dem deutschen Spiegel oder dem TIME Magazin aus den Vereinigten Staaten veröffentlicht wurden.

Im Oberlichtsaal der Kunsthalle Basel zeigen Sirah Foighel Brutmann und Eitan Efrat die 5-Kanal-Video-Installation Journal (2013). Hintereinander reihen sich fünf gleich grosse Projektionsflächen, die jeweils von einem Beamer bespielt werden. Auf den ersten Blick wirkt es, als wäre es ein und dasselbe Video, das zu sehen ist. Im Detail und nach etwas Zeit erkennt man, dass es fünf verschiedene Videos sind, die an ein und demselben Ort aufgenommen wurden.
In Journal bedienen sich Sirah Foighel Brutmann und Eitan Efrat des Fotoarchivs von André Brutmann, genauer der Bilder, die in Yad Vashem, der „Gedenkstätte der Märtyrer und Helden des Staates Israels im Holocaust“, die vor 60 Jahren gegründet wurde, entstanden sind. André Brutmann dokumentierte als Presse-Fotograf die offiziellen Besuche in Yad Vashem und lichtete Personen des öffentlichen Lebens ab. Die Künstler bedienten sich dieser Fotografien, liessen sie in verschiedenen Formaten entwickeln und hängten diese Sammlung von Bildern in einem Raum für zeitgenössische Kunst in Brüssel. Der namensgebende Werktitel Journal wird hier klar übernommen und versammelt eine Reihe von Bildern vergangener Ereignisse, die das Material für eine Ausstellung bilden, die nur installiert wurde, um sie zu dokumentieren. Als die Bilder installiert waren, unternahm der Kameramann mehrere Durchgänge durch die Ausstellung, zu verschiedenen Tageszeiten, aber immer auf derselben von den Künstlern festgelegten Route. Durch genaue Anweisungen der Künstler wurde der Rundgang selbst zu einem performativen Akt. Foighel Brutmann und Efrat haben fünf dieser insgesamt 21 Durchgänge ausgewählt und präsentieren diese als eine Video-Installation, die genau fünf gleiche und doch leicht unterschiedliche Herangehensweisen, bzw. mögliche Narrationen vorschlägt. Sie sind chronologisch nach ihrer Entstehung geordnet, dem immer gleichen Rundgang des Kameramanns, der natürlicherweise nicht immer gleich schnell durch die Ausstellung läuft, so wie er die Hand-Kamera nicht in der immer gleichen Ruhe führt, wenn er filmt. Die Umgebung ist geräuschlos, bis auf eine Straßenbahn, die vorbeifährt oder den Kameramann, dessen Atmung schwerer wird, wenn er versucht vor einer Fotografie still zu halten. Im Hintergrund jeder Fotografie André Brutmanns ist eine grossformatig aufgezogene Fototapete zu erkennen. Sie zeigt ein Detail des Inneren einer Baracke im national-sozialistischen Konzentrationslager Buchenwald am 16. April 1945, genauer von Gefangenen, die auf Hochbetten liegen und in die Linse des Fotografen schauen. Das Foto stammt von H. Miller, einem Gefreiten der amerikanischen Kompanie, der die Befreiung des Lagers bildlich dokumentierte. Seit ihrer Entstehung ist die Fotografie Teil unseres kollektiven Bildgedächtnisses geworden. Die Darstellung von ausgehungerten KZ-Häftlingen wurde zum Symbol der Grausamkeit und gleichzeitig zum Zeichen der Freiheit. Ein einziges Abbild, welches den Schrecken der vergangenen Jahre zusammenfasst und es doch nicht darstellen kann.

Journal ist eine Arbeit, die auf mehreren Ebenen aufgebaut ist, in welcher die Original-Fotografie von unbekannten Insassen, die ihren Blick auf den Fotografen richten, von den Journalisten und dem Kameramann weiter verhandelt wurden und nun, durch diese Linsen, wie auch auf Grund der Tatsache, dass das Bild in zwei Ausstellungen präsentiert wurde, uns, den Besuchern, präsentiert wird. Das Bild, das wir als blinden Fleck wahrnehmen, wurde in drei spezifischen Momenten in der Geschichte und an drei verschiedenen Orten aufgenommen: 1945 durch den Gefreiten H. Miller in Buchenwald, zwischen 1986 und 2000 durch André Brutmann in Yad Vashem dokumentiert und letzlich 2013 in einer Kunst-Institution in Brüssel durch Mathias Windelberg, dem Kameramann von Foighel Brutmann und Efrat, abgefilmt.

In der zweiten in der Ausstellung von Sirah Foighel Brutmann und Eitan Efrat gezeigten Arbeit Printed Matter (2011) ist das fotografische Archiv André Brutmanns ebenso Ausgangspunkt. Der Ansatz ist ein ähnlicher, allerdings ist das Material bei weitem persönlicher. Im zweiten Saal, in einer intimeren Situation, ist eine ca. 30-minütige Rückprojektion zu sehen. Man erkennet einen Leuchtkasten, auf den in unregelmäßigen Abständen Kontaktabzüge gelegt werden, von denen jeder einer Filmrolle entspricht, die zwischen 1982 und 2002 entstanden ist. Begleitet von einem Voiceover, der Stimme der Lebensgefährtin und Arbeitspartnerin Brutmanns, werden die einzelnen Bilder kommentiert. Teils beschreibt sie die Bilder, teils gibt sie Hintergrundinformationen. Am Ende eines Arbeitstages Brutmanns, wenn noch Bilder auf der Filmrolle waren, fotografierte er seine Familie. Neben Bildern von Demonstrationen und Aufständen, von politischen Ereignissen, aber auch u.a. von Mode-Schauen – dem täglichen Material eines Presse-Fotografen – finden wir heitere Familienbilder und berührende Portraits. Die Kindheit Sirah Foighel Brutmanns ist festgehalten, die Geburt des Bruders, wir sehen sie spielen und lernen die ganze Familie kennen. Die Stimme teilt mit uns Hintergrundwissen, dass nur eine Zeitzeugin haben kann. Geschichte wird hier durch Bilder in der chronologischen Reihenfolge der Kontaktbögen erzählt. Ein Bild nach dem anderen zeigt uns was André Brutmann in 20 Jahren sah, von der Frau des Fotografen kommentiert, die eine Rolle in den meisten privaten oder professionellen Ereignissen spielte, persönlich wie politisch.

Die Arbeit Journal spricht die Geschichte und das Erbe des Holocaust an, und lässt sich somit nicht nur hinsichtlich ihrer facettenreichen, narrativen Struktur erklären. Die Fotografie H. Millers, die Gefangene in Buchenwald zeigt, gehört wohl zu den komplexesten Bildern unserer Zeit, da sie versucht etwas darzustellen, was nach Meinung vieler Philosophen und Historiker schlichtweg nicht darstellbar ist: Die Grausamkeit des Holocaust. Und das bringt uns schon zu einem weiteren Problem, das darin besteht, dass viele einer jüngeren Generation sich Wissen nur über die Vermittlung von Geschichte aneignen können. Mittlerweile geschieht das schon über eine Vermittlung, die versucht herauszufinden, wie man mit der Vermittlung umgehen sollte. Journal macht in seinem Aufbau einen Schritt auf ein Verständnis der Funktion von Bildern für die Vermittlung von Geschichte zu. So gibt es das Zeitdokument, das wiederum von einer älteren Generation betrachtet wird, in einem eigens dafür geschaffenen Rahmen: Yad Vashem. In der Projektion von Foighel Brutmann und Efrat sehen wir die Video-Dokumentation der Dokumentation des Zeitzeugnisses. Ohne etwas zu ästhetisieren schafft Journal einen Raum der Erinnerung, der darstellt wie ein einschneidendes Ereignis unserer Geschichte, der Holocaust, überliefert werden könnte. Dennoch vertuscht es nicht, dass das Geschehene nicht mittels einer einzelnen Fotografie darstellbar ist. Journal von Sirah Foighel Brutmann und Eitan Efrat spricht von spezifischen Erfahrungen verschiedener Generationen und zeigt in seiner repetitiven Installation mit fünf hintereinander gehängten Projektionsflächen, wie Video und Fotografie nicht nur Erinnerung repräsentieren, sondern auch wie die Erfahrung des Besuchers, der sich durch die Ausstellung bewegt, es ihm möglich macht aktives Subjekt gegenüber dem historischen Gedächtnis zu werden.

Die Ausstellung wird grosszügig unterstützt von:
Dreyfus Söhne & Cie. AG, Banquiers
Dr. Georg und Josi Guggenheim Stiftung

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Eitan Efrat (geb.1983 in Tel Aviv, Israel) und Sirah Foighel Brutmann (geb.1983 in Tel Aviv, Israel) leben und arbeiten in Brüssel, Belgien. Er schloss sein Bachelorstudium im Audio-Visual Department (VAV) der Gerrit Rietveld Academie in Amsterdam, NL, ab. Sirah Foighel Brutmann studierte vier Jahre Choreographie und Performance in den Performing Arts Research und Training Studios (P.A.R.T.S.) in Brüssel, Belgien.

Auszeichnungen: Marian McMahon Award, Toronto, Kanada (2012); Research Grant, Vlaams Gemeenschap, Belgien (2012); Project subsidy, Vlaams Audiovisueel Fonds (VAF), Belgien (2011); Special Mentioning at Napolidanza, Napoli, Italien (2010); The Rabinovitch Fund for Arts, Israel (2010); Cinema Jury Prize at Oberhausen Film Festival, Deutschland (2009); The America-Israel Fund, Israel (2009).

Ausstellungen (Auswahl): STUK, Leuven, Belgien (2012); A Generation, Petah-Tikva, Contemporary Art Museum, Israel, kuratiert von Avi Feldman (2010); Mash Up, European Media Art Festival, Osnabrück, Deutschland, kuratiert von Hermann Noering; Out Of Bounds, P8 Gallery, Tel Aviv, Israel, von den Künstlern kuratiert (2009).

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