Tercerunquinto

Graffiti

Tercerunquinto, ein mexikanisches Künstlerkollektiv, zu übersetzen als „ein Drittel eines Fünftels“, setzt mit Graffiti ein zunächst unscheinbares, dann jedoch umso wirkungsvolleres Zeichen an die Schnittstelle von Institution und öffentlichem Raum: eine durchgängig schwarze Fläche erwartet den Betrachter an der Rückwand der Kunsthalle.
Entgegen der Erwartung, die der Titel Graffiti weckt, sehen wir keine politischen Äußerungen oder kunstfertige Pieces. Vereinzelt schimmert die ursprünglich weisse Wand durch die monochrom schwarze Oberfläche und nur wenige Stellen, die nicht mehrmals übersprüht wurden, vermitteln noch Hinweise darauf, dass sie durch Sprühen entstanden ist.

Die Künstler luden Jugendliche ohne Erfahrung mit Graffiti oder Kunst ein, die Wand zu besprühen, jedoch nicht in einem gemeinschaftlichen Projekt, sondern unter der Voraussetzung, jeweils allein an der Wand zu arbeiten, nur von den Künstlern beobachtet und dokumentiert. Innerhalb der von Tercerunquinto vorgegeben Regeln, die die Farbe (schwarz) und die Form (wandfüllend und ohne Zeichen) festlegten, stand es jedem Teilnehmendem frei, die Dauer und den Umfang der Wandfläche selbst zu bestimmen. Nach und nach akkumulierten sich so die Handlungen der Einzelnen zu einem Gesamtbild, in dem sich die individuelle Geste und Autorschaft in einer monochromen Fläche aufhebt. Tercerunquinto radikalisieren damit eines der Themen der Kunst, die monochrome Malerei, die seit Suprematismus und Konstruktivismus immer wieder Gegenstand des künstlerischen Diskurses ist.

1996 in Monterrey von Julio Castro Carreón (geb.1976), Gabriel Cázares Salas (geb.1978) and Rolando Flores Tovar (geb.1975) als Künstlerkollektiv gegründet, verfolgen Tercerunquinto kollaborative und kontextbasierte Strategien, die an spezifischen architektonischen Situationen anknüpfen. Zentrale Momente ihrer Arbeit sind Interventionen im öffentlichen Raum und Verhandlungen, die die Regularien und Konditionen von Institutionen untersuchen. Bereits als Kollektiv nicht auf singuläre Autorschaft begrenzt, beziehen Tercerunquinto häufig Aussenstehende, gerade auch nicht mit Institutionen des Kulturbetriebs verbundene Personen mit ein. Erst deren Partizipation bringt die Arbeiten hervor und vervollständigt sie. Tercerunquinto greifen symptomatische Punkte auf, an denen sich materielle und theoretische Bedeutungsebenen verdichten und legen das hinter der physischen Erscheinung Liegende bloss.

Seit 1998 haben Tercerunquinto die Wand als Motiv und Material innerhalb unterschiedlicher Kontexte verhandelt: als skulpturales Element und in ihrem architektonischen Zusammenhang, mit Fokus auf ihre institutionelle Funktion, als Oberfläche für Zeichen, als physische Trennung und konzeptuelle Verbindung. Kontinuierlich dekonstruieren und bauen die Künstler Wände, durchbrechen sie, bemalen sie, legen sie frei.

Graffiti ist eine der am weitesten verbreiteten Strategien von Protest im öffentlichen Raum. Anonym, prägnant, konfrontativ, klandestin und schnell sind die Slogans Indikatoren einer Verfassung, die von Unzufriedenheit, Unbehagen und Desillusionierung geprägt ist. Tercerunquintos Graffiti adressiert eben diese Verfassung, die sich in einem rebellischen Akt eine Öffentlichkeit sucht und damit die herrschenden Autoritäten herausfordert. Für die Jugendlichen, in einem Zustand der Latenz, der charakteristisch für ihr Alter ist, die noch unschuldig im Sinne einer aktiven politischen Teilhabe und damit ohne nachhaltige Stimme in der Öffentlichkeit sind, wird das Sprühen zu einer ersten Möglichkeit, Spuren auf der „Aussenhaut“ des öffentlichen Raumes zu hinterlassen. Das kollektiv produzierte Bild wird Ausdruck des verhinderten Potentials, das den Jugendlichen gemein ist.

Die Verbindung vom Schriftlichem und Bildlichen, die in den aufwendig stilisierten Graffiti – Pieces seit den 1980er Jahren ihre engste Überschneidung hat, zielt auf die symbolische Besetzung des öffentlichen Raumes. Die „leeren Signifikanten“, wie Baudrillard Graffiti bezeichnet, fügen sich in das Zeichensystem des urbanen Raumes ein. Diese neuen Zeichen bleiben irritierend unlesbar, da ihre Referenzen Aussenstehenden nicht mehr zugänglich sind. Tercerunquinto kombinieren das konfrontative Potential schriftlicher und bildlicher Äusserung im öffentlichen Raum, die sich als illegale Protestform seit der Antike hält, mit der Überzeugungskraft öffentlicher Wandbilder, die, von romanischen Kirchenportalen zu politisch konnotierten Wandbildern des 20. Jahrhunderts wie etwa im mexikanischen Muralismo reichend, rein visuell ideologische Programme vermitteln.

Für Tercerunquinto begründet sich die schwarze Fläche, das schwarze „Bild“ in einem Verständnis des öffentlichen Raumes als Raum voller Zeichen. Graffiti ist ein Bild, das nichts mehr darstellt. Es ist, was es ist und ist im selben Moment Projektionsfläche für Verweise innerhalb der grundlegenden malerischen Parameter Fläche und Farbe: die durchlässige Oberfläche verdeckt und enthüllt zugleich die Wand der Kunsthalle, die rückwärtig das Gebäude abschliesst und damit die Aussenhülle der Institution, die Grenze zwischen Innen und Aussen markiert. Das Bild macht diese Grenze sichtbar und gleichzeitig durchlässig: einerseits verknüpft es die Wand als architektonische Element mit dem dahinter liegenden Innenraum, andererseits erweitert es den institutionellen Raum nach aussen in den öffentlichen Raum.
Die schwarze Fläche führt zu einer genauen Lesart der Wand innerhalb der umgebenden Architektur und macht sie zu einem Element innerhalb des öffentlichen Raumes, in dem die Architektur zu einer bildhaften Sprache wird. Der partizipatorische Aspekt der Entstehung des Bildes im öffentlichen Raum schliesst die Vorstellung mit ein, dass dieser erst durch die Intentionen und Aktivitäten der damit verbundenen Personen produziert und legitimiert wird.

Graffiti schließt damit an eine Reihe früherer Arbeiten an und führt Tercerunquintos Auseinandersetzung mit dem Verhältnis von Architektur und öffentlichem Raum, Individuum und Gesellschaft, Institution und künstlerischer Praxis an der Rückwand der Kunsthalle weiter.

Die Ausstellung wird grosszügig unterstützt von
HEIVISCH und artEDU Stiftung

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Tercerunquinto ist ein im Jahr 1996 gegründetes Künstlerkollektiv, bestehend aus Julio Castro Carreón (Monterrey, Mexiko, 1976), Gabriel Cázares Salas (Monterrey, Mexiko, 1978) und Rolando Flores Tovar (Monterrey, Mexiko, 1975). 1999 graduierte das Künstlerkollektiv an der School of Visual Arts der Universidad Autonoma de Nuevo Leon (UANL). Sie leben und arbeiten in Mexiko City.

Einzelausstellungen (Auswahl): Old Construction Units, An Economic Contract, Plus Another One Possible, Proyectos Monclova, Mexiko City, Mexiko (2012); Real Estate: Properties and Other Holdings, Museum of Contemporary Art, Denver, USA (2012); Presentación: Trozo de escombro colocado para mantener la puerta abierta de un edificio, El Ranchito, Matadero, Madrid, Spanien (2012); Otros fueros, Espai d’art contem­ porani de Castelló, Castellón de la Plana, Spanien (2011); Restauración de una pintura mural, Sala de Arte Público Siqueiros, Mexiko City, Mexiko (2011); Prólogo, Galerie Peter Kilchmann, Zürich, Schweiz (2010); Proyecto de Economía de Solidaridad, Proyectos Monclova, Mexiko City, Mexiko (2009); Investiduras institucionales, Museo de Arte Alvar y Carmen T. de Carrillo Gil, Mexiko City, Mexiko (2008); I Am What I Am, Ikon Eastside, Birmingham, England (2008); In Residence, New Langton Arts, San Francisco, USA (2007); Investiduras institucionales, Centro de las Artes de Nuevo León, Monterrey, Mexiko (2007); Project of Public Sculpture in the Urban Periphery of Monterrey, CCA Wattis Bulletin Board Project, Institute for Contemporary Arts, Los Angeles, USA (2006).

Gruppenausstellungen (Auswahl): Olinka or Where Movement is Created, Museo Tamayo, Mexiko City, Mexiko (2012); Track, SMAK Stedelijk Museum voor Actuele Kunst, Gent, Belgien (2012); Level 2 Gallery: No Lone Zone, Tate Modern, London, UK (2012); Resisting the Present, Mexico 2000 – 2012, Museo Amparo, Puebla, Mexiko und Musée d’Art Moderne de la Ville de Paris (2011); Espectrografías: Memorias e Historia, Museo Universitario de Arte Contemporáneo, Mexiko City, Mexiko (2010); Beyond Borders. Mexican Public Art, Skissernas Museum, Lund, Schweden (2010); Ce Qui Vient, Biennale d’Art contemporain, Rennes, Frankreich (2010); In Lieu of Unity/En lugar de la unidad, Ballroom, Marfa, Texas, USA (2010); Shenzhen & Hong Kong Architecture Biennale, Shenzhen, China (2009); Registro 02. Mirar por segunda vez, Museo de Arte Contemporáneo de Monterrey, Monterrey, Mexiko (2009); Draft Establishment Future (DEF), Akademie der Künste, Berlin, Deutschland (2009); PLOT09: This World & Nearer Ones, Governors Island, New York, USA (2009); Sueño de casa propia, Casa del Lago, Mexiko City, Mexiko (2008); Las implicaciones de la imagen, Museo Universitario de Arte Contem­ poráneo, Mexiko City, Mexiko (2008); Vacíos Urbanos, Museo de la Ciudad de México, Mexiko City, Mexiko (2007); Só é possível se formos 2., Centro de Artes de Sines, Sines, Portugal (2007); Los Nuevos Leones, Centro de las Artes de Nuevo León III, Monterrey, Mexiko (2007); Please Excuse our Appearance, Ikon Eastside, Birmingham, UK (2007); Habitat/Variations, Centre d’Art Contemporain, Genf, Schweiz (2007); Dedicated to you, but you weren’t listening, The Power Plant, Toronto, Kanada (2005).