Die Werke des brasilianischen Künstlers Ernesto Neto (geb. 1964, lebt in Rio de Janeiro, Brasilien) sind darauf angelegt, individuell erlebt zu werden. Man kann sie begehen, anfassen, auch riechen oder gar hören. Neto entwirft meist raumspezifisch; die Plastiken aus Stoff spannt er in die bereits vorhandene Architektur ein. Betrachtet man sie von aussen, erscheinen sie wie riesige Skulpturen, betritt man sie, eröffnen sich neue Räume, und man verliert sich im Innern wie in einem Labyrinth.
Der Künstler beschäftigt sich mit den klassischen Fragen der Skulptur, was vor dem Hintergrund der von ihm benutzten ungewöhnlichen Materialien erstaunen mag: Raum, Körper, Schwerkraft, Masse und Licht bilden Eckpunkte seiner künstlerischen Auseinandersetzung. Visuell sind die Werke raffiniert gestaltet, bieten einen neuen Eindruck von Körper und Gewicht und verändern das Licht in und um die Skulpturen.
Mit seinen Plastiken reagiert Ernesto Neto aber nicht allein auf die vorhandenen Verhältnisse und die Architektur, sondern kalkuliert immer auch das menschliche Verhalten mit ein. Kräfte werden erlebbar, Schwere und Leichtigkeit gewinnen eine physische Präsenz. Die leichten, aus Strumpf konstruierten Plastiken bieten sich allen Sinnen an, sie sollen berührt und betreten werden, und erst in der Interaktion sind sie vollständig erfahrbar. Manche Werke enthalten unterschiedliche Gewürze, welche neben der visuellen und haptischen zusätzliche sinnliche Wahrnehmungen provozieren. Andere Gebilde können von den Besuchern angezogen werden, so dass man völlig umhüllt den eigenen Körper, Masse und Bewegungen neu erfährt. Durch Form und Material stehen die abstrakten Werke auch immer selbst in Bezug zum menschlichen Körper: Zellen ähnlich fügen sich amorphe Formen aneinander; Stoffe trennen wie Membrane einzelne Räume voneinander. Die organischen, weichen Formen regen dazu an, die Kunstwerke als autonome Lebewesen voller Poesie und Humor zu entdecken.
Bereits in der Gruppenausstellung Raumkörper. Netze und andere Gebilde (2000) war ein Werk von Ernesto Neto in der Kunsthalle zu sehen, einen grossen Auftritt hatte der Künstler im letzten Jahr im Brasilianischen Pavillon an der Biennale in Venedig. Bei der Installation, die er nun eigens für den Oberlichtsaal der Kunsthalle entwickelt, steht mehr noch als in früheren Werken das Licht in seiner skulpturierenden Eigenschaft im Vordergrund. In Stoff gehüllte Räume gruppieren sich zu einem frei schwebenden Gebilde, das luft- und lichtdurchlässig ist. Die Besucher sind eingeladen, in der organischen, weichen und poetischen Formenwelt zu wandeln und in direkter Interaktion neue sinnliche Erfahrungen zu machen, die die Wahrnehmung der Skulptur, des Museumsraumes und des eigenen Körpers verändern.
Zur Ausstellung erscheint ein Katalog mit Textbeiträgen von Elisabeth Schlebrügge und Peter Pakesch. Deutsch/Englisch. Schwabe Verlag.