Vanessa Safavi, 1980 in Lausanne geboren, Iranisch-Schweizer Herkunft, lebt und arbeitet in Berlin und Basel, verbringt jedoch immer wieder sehr viel Zeit auf Reisen. Ihre Auseinandersetzung mit anderen Kulturen geht einher mit einem Interesse an Ethnografie, Entfremdung und Identität. Dieses Interesse gilt sowohl den Eigenschaften einer möglichen universellen Natur des Menschen, als auch der Untersuchung, auf welche Weise sich bestimmte Bevölkerungsgruppen und ihre kulturellen Identitäten innerhalb einer Population herausbilden. Der Einzelne ist dabei als Teil der Gemeinschaft ebenso wichtig wie sein Umfeld, das Einfluss auf ihn ausübt. Safavi schafft es, dieses Interesse am Sozialen wie Politischen in ihre Praxis zu übernehmen und auf ihre Werke zu übertragen. Diesem Ansatz folgend bedient sich Safavi unterschiedlicher Materialien. Sie hat ein ausgeprägtes Gespür zu observieren und Materialien auf der Grundlage ihrer Beobachtung auszuwählen und als Bedeutungsträger weiter zu verhandeln.
In ihren Installationen Real Life is Elsewhere (2011) im Kunsthaus Glarus und Plenty of None (2010) in der Galerie Chert in Berlin verwendete Safavi Sand, den sie grossflächig im Ausstellungsraum verteilte. Vollkommen natürlich wirkte die Oberfläche der Installation, die mit einer unglaublichen Präsenz den Raum einnahm. Während man in der Berliner Arbeit verschiedene Kleidungsstücke im Sand ‒ teils vergraben, teils besser sichtbar ‒ ausmachen konnte, fand man im Glarus kleine Sandskulpturen in der Installation. Die Wüste als Symbol unendlicher Fläche und Freiheit ist ebenso ein Ort von Angst und Einsamkeit. Die Auseinandersetzung mit einem so spezifischen Material wie Sand geht einher mit einem Interesse an verschiedenen Kulturen sowie Geographien wie denen des Kontinents Afrika. Das Land ist geprägt von Gegensätzen, eigenen kulturellen Identitäten, Machtungleichheiten innerhalb nachkolonialer Kulturen, vom Tourismus und seinen Auswirkungen auf Volk und Land gar nicht erst zu sprechen. Safavi ‒ sie hielt sich für ein Atelierprogramm in Kapstadt auf ‒ setzt sich mit diesen Eigenschaften und dem kulturellem Erbe auseinander. Sie verweist auf eine höchst spannende Art auf den auch heute noch wichtigen Einfluss von Volkskunst, traditioneller Kunst, innerhalb zeitgenössischer Kunstproduktion und somit auf eine Ästhetik, die auch in der Imitation des sogenannten „Primitiven“ in der Kunstgeschichte wiederzufinden ist; die Adaption von fremden Kulturen. Safavi bedient sich oft einfacher Materialien und die Arbeiten werden mit einfachen Mitteln umgesetzt. Allerdings geht es ihr nicht nur um die Beschäftigung mit historischen Referenzen, sondern auch um die Aussagekraft dieser künstlerischen Praxen und Kunstrichtungen.
Die Auseinandersetzung mit dieser bestimmten Formensprache ist auch in ihrer neuen Arbeit After the Monument Comes the People zu erkennen. Ausgang ist die mehrteilige Arbeit Les Figures Autonomes, die im Kunsthaus Glarus und im Centre Culturel Suisse in Paris gezeigt wurde. Im Jahr 2011 entstanden, bilden die abstrakten Figuren, die vereinfachte zeichenhafte Abbildungen des menschlichen Individuums sind, einen komplexen Werkkörper. Individualität findet sich dahingehend, dass sich jede Skulptur von der anderen in Form, Farbe und Grösse unterscheidet. So hinterfragt sie die Möglichkeit der Ausbildung von Identität mittels physikalischer Merkmale auf eine ironische Art und Weise.
Mit After the Monument Comes the People greift Safavi die Arbeit an Les Figures Autonomes erneut auf und schafft abstrakte, schlanke und aufrechte, das Individuum widerspiegelnde Formen. 23 Figuren reihen sich repetitiv nebeneinander und füllen die Rückwand der Kunsthalle Basel. In ihrer Gänze eignet sich die Arbeit etwas Monumentales an, während sie gleichzeitig in einer Leichtigkeit daherkommt, die nur selten bei Arbeiten dieser Grösse zu finden ist. Die dünnen, leichten Stahlrahmen ‒ weiss beschichtet, in drei verschiedenen Grössen ‒ treten aus der Wand hervor. Teilweise findet man offene Messingringe an den oberen Enden der Arbeiten, die der Figur ein „Gesicht“ gibt und ein weiterer Verweis auf die Individualität jeder einzelnen Figur ist, die hier als Teil einer „Gemeinschaft“ daherkommen könnte. Die weissen Rahmen stehen jedoch kaum im Kontrast zur blass-grauen Fassade; sie verschmelzen mit dem Hintergrund und heben erneut den Gemeinschaftsgedanken der Arbeit hervor. In Safavis Werk, in den vorhergehenden Skulpturen Les Figures Autonomes wie in den neuen Installationen, finden sich Ähnlichkeiten zum Konstruktivismus und späteren Entwicklungen innerhalb der Geometrischen Abstraktion.
Safavi setzt sich mit der Bedeutung von Monumenten in verschiedenen Kulturen auseinander. Sie hebt deren ursprüngliche Funktion als Verkörperung der Gemeinschaft oder Sinnbild der Macht auf und verweist mit dem Titel auf das emanzipatorische Potenzial sozialer Bewegungen; nach den Monumenten kommt die Gemeinschaft. Oft meint man, Monumente würden die Ideale und Ziele des Volkes verkörpern. Meist unterstützen sie jedoch die politischen Ziele des Staates ‒ eines Staates, der Monumente vom Volk für das Volk bauen lässt. Safavi bietet hier einen Ansatz, der die Auflösung dieser ideologischen Sichtweise vorschlägt und Hoffnung liefert. Sie geht darauf ein, dass nach der Bedeutungsauflösung der einzelnen Monumente ‒ sei es die Ablösung der Regierung, des Regimes oder die Zerstörung des Monuments ‒ die Gemeinschaft, das Volk, zurückkehrt, mit seinen eigenen Werten und seiner eigenen ideologischen Sichtweise, welche sie zu einer Einheit wachsen lässt. Giorgio Agamben führt dies mit treffenden Äusserungen in seinem Werk „The Coming Community“ (Dt.: „Die kommende Gemeinschaft“) aus. Er beschreibt darin eine Gesellschaft, die nur eine „neue“ zukunftsbringende sein kann, wenn sie noch keine festgelegten ideologischen Grundsätze hat, sondern sie erst aus der Gemeinschaft heraus entwickelt. Safavis Arbeit repräsentiert eine Sichtweise auf unser historisches Erbe und stellt in Frage, wie man sich als Individuum gegenüber diesem positioniert bzw. wie man als Gemeinschaft mit diesen kulturprägenden Phänomen ideologisch errichteter Stätte umgehen soll. Ihr Ansatz und ihr Rückschluss ist im Titel auf den Punkt gebracht: After the Monument Comes the People. Nach dem Monument, der diktierten Ideologie, kommen die Menschen, die Gemeinschaft und diese formuliert ihre eigenen Ziele.
Vanessa Niloufar Safavi (*1980, Lausanne, CH) lebt und arbeitet in Basel und Berlin. Safavi studierte an der École cantonale d’art de Lausanne (ECAL), wo sie 2007 das Diplôme d’arts visuels (HEA) erhielt.
Einzelausstellungen (Auswahl): I wish Blue could be Water, CRAC Alsace, Altkirch, Frankreich (2012 bevorstehend); Les Figures Autonomes, Centre Culturel Suisse, Paris (2012); Resorts, Kunsthaus Glarus, Glarus (2011); No More Ice Cream, Blank Project, Cape Town (2011); Kunst 10, Zürich Art Fair, Zürich (2010); Successes and Traumas, Le Palais Bleu, Trogen, Deutschland (2010); NEO, Naphtaline, Lausanne (2009); DOM-TOM, zwanzigquadratmeter, Berlin (2008). Gruppenausstellungen (Auswahl): Swiss Manor Prize, Kunsthaus Aarau, Aarau (2012 bevorstehend); The Thing Itself, Abbt Projects, Zürich (2012); Le Choix de Paris, Cité Internationale des Arts, Paris (2011); Be nice to me, Heidelberger Kunstverein, Heidelberg (2011); Livingroom Exotica, Kunsthaus Glarus, Glarus (2011); Liste 15, The Young Art Fair, Basel (2010); Drin & Draussen, Chert, Berlin (2010); Strange Comfort, Kunsthalle Basel, Basel (2010); The Amazone Conversation, Raum Zur Kunst, Basel (2010); All The Girls Standing In The Line For The Bathroom, Artnews Project Space, Berlin (2009); Swiss Art Awards, Kiefer Hablitzel, Basel (2009); If it’s a bird, shoot it!, Sculpture Center, Long Island, New York (2008); Un Art du Feu, Espace Bellevaux, Lausanne (2008); Centre culturel suisse de Paris, Paris (2008); Anathema, Fri-Art, Fribourg (2007).
Mit grosszügiger Unterstützung von HEIVISCH.