Die Kunsthalle Basel stellt im Rahmen der Regionale 7 insgesamt 37 künstlerische Positionen vor, die aus über 580 Eingaben ausgewählt wurden. Für die Jury (Adam Szymczyk, Direktor der Kunsthalle Basel, Maya Rikli, Künstlerin und Kommissionsmitglied des Basler Kunstvereins und Silke Baumann, Assistenzkuratorin, Kunsthalle Basel) war die individuelle Prägnanz der eingegebenen Werke ausschlaggebend. Die Auswahl der künstlerischen Positionen gibt aber nicht nur einen Einblick in das aktuelle Geschehen regionalen Kunstschaffens, sondern kristallisiert zugleich die Hauptthemen künstlerischer Auseinandersetzung heraus. Die gezeigten Arbeiten in der Kunsthalle Basel stecken Themenfelder wie Landschaft, Körperlichkeit, Architektur und Urbanismus, künstlerische Identität und Kunstbetrieb ab. Innerhalb, wie auch zwischen diesen Feldern gehen die Arbeiten interessante formale und inhaltliche Verbindungen ein und verleihen jedem Raum eine eigene Stimmung.
Foyer
Manuel Strässle (1964) hat in den letzten Monaten an einer Rekonstruktion von „fat man“ gearbeitet, der Atombombe, die am 9. August 1945 von den USA auf Nagasaki, Japan, abgeworfen wurde. Der Nachbau *fat man – the great artist ist genau zwei Mal so gross wie das Original und hat sich im Foyer breit gemacht: Die Sitzgelegenheiten sind verdrängt und damit die Möglichkeit, sich aufzuhalten und in Büchern zu schmökern eingeschränkt. Durch die Reduktion auf eine skulpturale Formensprache wird die Brisanz der Bombe noch gesteigert: Es formuliert das Anliegen des Künstlers, unser Bewusstsein für eine atomare Kriegsbedrohung zu schärfen, was angesichts der aktuellen weltpolitischen Lage nicht unbegründet ist.
Saal 1
Die neuen Arbeiten von Hagar Schmidhalter (*1968) sind kleinformatige Gemälde, die auf Sperrholz mit dünner Farbe gemalte Landschaften und Architekturen zeigen. In der Technik der Collage setzt die Künstlerin fotografische Bildausschnitte auf die gemalten Kontexte, welche die Motive perfekt einbetten. Schmidhalter benutzt fotografische Bilder nicht mehr nur als Vorlagen für ihre Malerei, sondern macht diese zum zentralen Bestandteil des Bildes. Die Motive stammen aus einem Buch über historische Schweizer Volksbräuche. In den unheimlichen Landschaften offenbaren sich absurd wirkende Szenerien, wenn beispielsweise eine Menschenansammlung in einer zerstörten Stadt eine Art Polonaise vollführen. Erinnern die Bilder an Historiengemälde des 19. Jahrhunderts in intimem Format, präsentieren sie gleichzeitig einen zeitgenössischen, freien Umgang mit dem, was Malerei alles sein kann.
Nicole Heri (*1969) präsentiert eine Videoinstallation, in der sich zwei Monitore distanziert gegenüberstehen. Die Szenen, abgespielt von DVD als kurze Loops, konfrontieren einander. Obwohl sie ein Ganzes bilden, können sie immer nur getrennt wahrgenommen werden. Im ersten Video sind Schwäne zu sehen, die sich über einen zugefrorenen See bewegen. Auf der anderen Seite spielt eine Frau auf einer Blockflöte. Die Grossaufnahme des Gesichts scheint verletzlich gegenüber den Schwänen, die immer näher auf die Kamera zukommen. Dabei wird auch der Ton zur wichtigen Komponente, da er zwischen den Bildern zu kommunizieren scheint: Der durchdringende Flötenton bricht immer wieder ab, als sei er ein Lockruf für die Schwäne, die sich darauf hin auf die BetrachterInnen zu bewegen.
Andreas Steffens (1978) Acrylbilder bewegen sich zwischen Abstraktion und Figuration, lassen vage Figuren und Gegenstände erkennen und behalten immer eine spezifische Räumlichkeit. In *fugges oppa ist in der abstrakten Komposition ein menschlicher Kopf zu erkennen, im Vordergrund scheint Grass zu stehen, während im Hintergrund eine rudimentär gezeichnete Landschaft dargestellt ist. Steffen beschäftigt sich vor allem mit den Möglichkeiten der Malerei, mit der Raumdarstellung mit Mitteln der Farbe und ihren Schichtungen, sowie formalen Kompositionen. Zum Teil malt der Künstler die Acrylfarbe auf Papier, um in einer schnelleren, spontaneren Malweise Kompositionen und Arrangements zu produzieren. Dies verleiht den Arbeiten etwas Temporäres, Momentanes, trägt doch der unebene Bildgrund zur Bewegung im Bild bei. Am Strand zeigt Badende am Meer, die aus Farbflecken figuriert sind und mit anderen angedeuteten Motiven, wie der zeltartigen schwarzen Hütte im Zentrum verschmelzen können.
Pia Gisler (*1959) verwendet für ihre Arbeiten meist „ärmliche“ Materialen, die bereits die Spuren der Zeit tragen, gebraucht sind oder keine Verwendung mehr finden. Die Künstlerin war in den letzten Jahren oft auf Reisen und hielt sich im Rahmen von Atelieraustauschprogrammen u. a. in Dakar, Senegal oder in Bamako, Mali auf. Die Einflüsse der verschiedenen Kulturen verarbeitet die Künstlerin in ihren Arbeiten. Für ihre Installation in der Kunsthalle hat sie verwaiste Regenschirme gesammelt und deren Spannstoffe in einem Recycling-Prozess zu einem bunten Teppich vernäht, der an ein orientalisches Kissenlager erinnert. Kordeln aus geflochtenem Schirmstoff umgeben in einem linearen Gitter das Objekt, grenzen es zugleich ein und lassen einen schützenden Raum entstehen.
Aus ihrer Serie Die Fabrik zeigt Eva-Fiore Kovacovsky (*1980) drei Laser-Print-Fotografien. Kovacovsky hat in dem Haus, in welchem sie dieses Jahr lebte, mit verschiedenen Möbeln und Gegenständen Konstruktionen gebaut, die an Landschaftsausschnitte und -elemente erinnern. Die Untersuchung unserer Assoziationen von zufälligen Anordnungen und Konstellationen mit bekannten Bildern von Landschaft steht im Zentrum des Interesses der Künstlerin. Die inszenierten Settings, in denen beispielsweise blau-weisse Fransen zerrissener Coop-Plastik-Tüten wie Wasser über eine Treppe zu laufen scheinen oder Apfelhälften in einer Hügelformation angeordnet sind, werden mit typischen Techniken der Landschaftsfotografie aufgenommen. Dabei bleibt das Haus als Kontext immer sichtbar und so verweisen die Bilder auf den Ort ihrer künstlerischen Produktion.
Paula Wohlgemuth (1980) führt uns mit ihrer Arbeit auf eine Erinnerungsreise an ihren letzten Tag in Berlin. Der Titel ihrer Arbeit *Am letzten Tag in Berlin fing ich dann doch noch an suggeriert, dass die künstlerische Produktion im letzten Moment eingesetzt hat – in einer Stadt, in der, trotz und gerade wegen des grossen Angebots an Ausstellungen in Galerien und Museen, der aktiven Kunstszene und der Konkurrenz, depressive Unproduktivität und Ablenkung (d.h. Kaffee trinken in Cafés in Mitte) für KünstlerInnen eintreten können. In kurzen Sätzen evoziert Wohlgemuth die Stimmung, die als KünstlerIn in Berlin erlebt werden kann – ziellose Streifzüge und Beobachtungen des Alltags in der Grosstadt. „Will noch etwas zeichnen, was mir gefällt“ ist einer der Sätze, der die Sehnsucht, geeignete Motive in einer fremden Stadt zu finden, beschreibt – um schliesslich die gedanklichen Aufzeichnungen, Notizen und Ideen selbst zum Kunstwerk werden zu lassen.
Brigitte Bührer (*1966) präsentiert in der Kunsthalle zwei Gouache-Zeichnungen. Diese stammen aus einem halbjährigen Arbeitsprozess, bei dem die Künstlerin auf konzeptionelle Weise eine Reihe von Makulaturpapieren an die Wand angebracht hat und während einer Session in schneller Abfolge 10-15 Zeichnungen produzierte. Dokumentiert und nummeriert setzt die Künstlerin die einzelnen Blätter, die zu verschiedenen Zeitpunkten entstanden sind, in Beziehung zueinander. Die Zeichnungen, deren Motive in der vorgegebenen Schnelligkeit skizzenhaft figuriert sind – wie Kreisformen, alltägliche Gegenstände, Landschaften und Gesichter – entstehen in der Spannung zwischen selbst auferlegten Bedingungen durch die Künstlerin und einem zufälligen, unbewussten Moment.
Mit ihrer Arbeit Prélude thematisiert Gabriela de Antuñano (*1969) die Sprache der Musik als ein Bild von ästhetischer Abstraktion. Die Notenschrift bedient sich einer logischen Struktur und setzt eine intellektuelle Denkleistung voraus, die sich gegenüber dem natürlichen und unmittelbaren Ereignis der Musik aus einem konstruierten System entwickelt. De Antuñano überführt für ihre Arbeit die Notenschrift in Aufzeichnungen eines physischen Raums, indem sie die Noten der Prélude en la Majeur No. 7 von Frédéric Chopin auf dem Blatt zeichenhaft abstrahiert und daraus architektonische Formationen entstehen lässt. Diese Transformationen präsentiert die Künstlerin einerseits in einem eigens gefertigten Buch sowie auf kleinen Bleitafeln, welche die Übersetzungen der Prélude als kleine, filigrane Pavillons oder Strandhäuschen zeigen.
Die Zeichnungen von Gudrun von Maltzan (*1941) entstanden alle in der Umgebung des Hofs ihrer Familie in Mecklenburg und umkreisen autobiographische Erinnerungen und deren künstlerische Verarbeitung. Das Haus in Mecklenburg, in welchem die Künstlerin während des 2. Weltkrieges aufgewachsen ist, hat die Familie nach dem Ende der DDR zurückgekauft. Die Künstlerin hat den Hof seitdem mehrere Male besucht und erzählt in ihren Zeichnungen, die von 1999 bis 2006 entstanden sind, die Geschichte der Rückkehr, die von verschiedenen Gefühlen und Bildern überlagert wird. So treten zum Teil Erinnerungen an den Krieg, abstürzende Flugzeuge und im Gras lauernde Soldaten ebenso auf, wie fiktive Begegnungen mit Feen in einer verzauberten Landschaft, mit üppiger Vegetation und sanften Hügelketten.
Regula Angela Amslers (*1967) Arbeit zeigt eine stoffliche Landschaft, die je nach Lichteinfall neue Topographien wahrnehmbar macht. Während eines Jahres hat die Künstlerin kontinuierlich jeden Tag von Hand ein Wolltuch mit Cordonnet-Seidenfaden bestickt, so dass der Stoff sich verformt und verzogen hat. Die Oberfläche des Stoffes, die zwischen der Materialität der stumpfen Wolle und der glänzenden Seide changiert, scheint eine eigene Lebendigkeit zu besitzen, wie ein warmes Fell eines lebenden Tieres, oder eine glitzernde Gletscherlandschaft im Sonnenlicht.
In seiner Serie von Zeichnungen präsentiert Dadi Wirz (*1931) Kartographien des Flusslaufs des Rio Grande. Der Künstler hat sich auf eine Wanderung entlang des Flusses begeben, dessen topographische Lage untersucht und die Reise mit Skizzen und Notizen dokumentiert. Die Papierarbeiten bestehen aus mehrfachen Schichten von abstrahierten, geschlängelten Linien des Flusslaufes, Linien- und Punktsignaturen, Städtenamen, sowie Breiten- und Längengraden verschiedener Orte am Rio Grande. Wirz entwickelt seine Arbeiten oft auf seinen Exkursionen, die er konzeptuell mit Tagebuchnotizen, auf dem Weg gefundenen Gegenständen und kartographischen Zeichnungen und Radierungen dokumentiert.
Martin Heldstabs (1971) Papierarbeit *The Spirit of Max Havelaar zeigt Rückstandsflecken von Kaffeetassen, welche die Form der fünf olympischen Kreise wiederholen. Der Bezug des Signets zur Schweizer Stiftung Max Havelaar, die ökologischen Anbau und fairen Handel von Kaffee und anderen Produkten vorantreibt, macht eine spielerische Verbindung zum enthusiastischen, die Welt verbindenden Geist von Olympia. Humorvoll werden prominente Symbole miteinander verbunden und setzen so – in einem Goldrahmen überhöht präsentiert – mit einfachen Mitteln eine Assoziationskette in Gang.
Saal 2
Silvan Kälin (1981) und Ralph Bürgin (1980) haben die Präsentation ihrer Arbeiten im Raum gemeinsam entwickelt. Beide beschäftigen sich in den gezeigten Arbeiten mit der Repräsentation des menschlichen Körpers. Bei unterschiedlicher Herangehensweise teilen sie die Neigung zur Fragmentierung des Körpers. Die vier Skulpturen Kälins bilden eine Werkgruppe, bestechen aber gleichwohl durch ihre starke individuelle Präsenz. Aufgrund der Platzierung im Raum stellen sich die Arbeiten gezielt in den Weg und fordern selbstbewusst unsere Aufmerksamkeit. Die Arbeiten spielen mit Dichotomien: Innen und Aussen, Hohl- und Festkörper, Schale und Kern sind die Gegensätze, die der Künstler umkreist. Ralph Bürgin zeigt drei seiner neuesten Malereien, die deutlich seine intuitiv gestisch-abstrakte Handschrift tragen, ausgeführt mit einem kräftigen Pinselstrich. Ungewöhnlich für Bürgin sind die deutlich figurativen Bildelemente. Obwohl die Werke der beiden Künstler auf den ersten Blick sehr klassisch wirken, ist ihnen eine hintergründig rebellische Haltung gemein: der Fluchtversuch der Figuren aus der Leinwand und das Ausbrechen des Objektes aus der geschlossenen Vitrine.
Saal 3
Balz Raz (*1943) ist für seine Super8-Filmtagebücher bekannt, die er seit den 1970er Jahren dreht. Serielles Arbeiten ist ein wesentliches Konzept innerhalb des Werkes des Künstlers. In der Regionale 7 zeigt der Künstler eine Auswahl seiner Wortfolgen aus der Serie Einzelsätze aus den Jahren 1976 bis 2005. Einzelsätze sind Sprachkunststücke, die sich mit einer spielerischen Leichtigkeit zwischen Sprachwitzen, Wortverdrehungen, Spitzfindigkeiten und philosophischen Denkanstössen bewegen.
Die Videoarbeit Innershell von Anne Hody (*1964) besticht durch ihre fast schon hypnotische Wirkung: Wir blicken direkt in das Gesicht der Künstlerin, ihr Gesicht ist in einer Doppelprojektion auf eine im Hintergrund laufende Kamerafahrt durch ein winterlich verschneites Berlin gelegt, begleitet von einer typischen Lounge-Musik. Die Künstlerin sucht mit tiefrot geschminkten Lippen und weissem Fellmützchen immer wieder den Blickkontakt mit den BetrachterInnen und spielt gekonnt nach allen Regeln der Verführungskunst und zieht die BetrachterInnen förmlich zu sich in den Monitor. So durchbricht Hody gekonnt die Tristesse der winterlichen Grossstadt.
Cora Piantoni (1975) ist in der Regionale 7 mit zwei Arbeiten vertreten. *DEMO sind Schwarzweiss-Fotografien, die die Künstlerin gemeinsam mit Freundinnen realisiert hat. In einer neutralen Ateliersituation haben sie typische Posen und Verhaltensweisen von Demonstrierenden nachgestellt. Diese Reduzierung auf das Wesentliche in Verbindung mit der Dekontextualisierung typischer Kampf- und Widerstandsposen kippt die sonst eher aggressive Stimmung zugunsten einer Fokussierung auf die körperliche Präsenz und ästhetische Ausdruckskraft der Körperhaltungen.
Saal 4
Die Multi-Media-Installation revolte des Künstlerpaars stöckerselig (Annette Stöcker 1962 / Christian Selig *1954) ist ein Nachfolgeprojekt der Installation *traverser Paris, die 2004 an der Regionale 5 auch schon in der Kunsthalle Basel zu sehen war. revolte bringt eine Vielfalt verschiedenster Medien zusammen, wie Fotografie, Zeichnung, Videoprojektion und installative Einbauten, die sich zu einem komplexen Stimmungsbild zusammenfügen. Entlang der Wände breiten sich grossformatige Fototapeten aus, Schwarzweiss-Postern nicht unähnlich. Daneben sind gerahmte Farbfotografien und skizzenhafte Kreide- und Holzkohlezeichnungen zu sehen, die sich teilweise überlagern. Die Bilder zeigen Situationen bei zwei grossen Anti-CPE-Demonstrationen, die im Frühling diesen Jahres in Paris stattgefunden haben. stöckerselig spüren in ihrer raumfüllenden Installation dem soziokulturellen Phänomen der Revolte nach und implementieren diese in den White Cube. Die konfrontative Gegenüberstellung der gegnerischen Parteien wird aufgelöst, indem stöckerselig einzelne Personen heraus greifen und porträtieren, wodurch sich diese von der Masse abheben. Dieses von den KünstlerInnen selbst gemachte Bildarchiv wird kontrastiert von den Videozusammenschnitten, die stöckerselig im Internet, beispielsweise auf der Seite des alternativen Medienforums indymedia, gefunden haben.
Saal 5
Die grossflächig mit Acryllack auf die Wand gemalte Architektur von Jeannette Mehr (1974) trägt den Titel *Oberammergau. Dieser Titel deutet schon an, worauf es der Künstlerin ankommt: In einem mehrstufigen Prozess reduziert sie mit Hilfe des Computers und exakten Proportionsvermessungen das Spezifische eines Ortes oder eines Gebäudes auf einfache nebeneinander platzierte Farbfelder und tilgt dadurch jegliche Anklänge an eine individuelle Architektur. Die hier verwendete Vorlage einer Tankstelle kann nur durch einen zweiten Blick nachvollzogen werden. Die Künstlerin passt die Grösse ihrer Wandgemälde immer den Ausdehnungen des Ausstellungsraumes an. Die präzise gemalten Farbflächen schwanken zwischen einer Restreferenz an die Wirklichkeit und einer Referenz zur konkreten Kunst.
Marcel Scheible (1974) arrangiert 50 Doppelseiten eines Heftes in drei Reihen untereinander. Oben links mit den Seiten 1 und 100 beginnend, laufen die Seitenzahlen aufeinander zu, bis sie sich unten links mit 50 und 51 treffen. Addiert man die Seitenzahlen erhält man *101, den Titel der Arbeit. In dem er die Seiten aus der Heftung herausnimmt, erzeugt der Künstler eine nachträgliche Diskontinuität seines Schaffens, die sich dennoch in systematischer Form in der letzen Collage wieder hin zu einer Kontinuität entwickelt. Die verschiedenen Motive und Formen tauchen verstreut auf und es gelingt den BetrachterInnen nicht, den Arbeitsprozess zu rekonstruieren. Die während eines Stipendiums in Paris als tagebuchartiges Skizzenbuch entstandene Arbeit zeigt die Entdeckungen eines Flaneurs während zielloser Streifzüge durch die Stadt.
Thomas Hauris (1974) grossformatige Aquarelle entwerfen einen architektonischen Raum, der konstruiert ist, als würde er über die Ränder ausgreifen. Um die BetrachterInnen werden architektonische Elemente gruppiert, von denen nicht mit Sicherheit behaupten werden kann, ob sie eine Ordnung oder ein Chaos etablieren. Genauso wenig lässt sich klar entscheiden, ob dieser Raum wie ein Organismus zu wachsen scheint oder gerade im Begriff ist, sich aufzulösen. Das grossformatige Aquarell *Interieur II, dessen Vorlage ein Einkaufszentrum in Kanada ist, skizziert einen schemenhaften Raum in facettenreichen Grauabstufungen. Nur an wenigen Stellen setzt der Künstler dezent Farbe ein und markiert damit sich vom übrigen Raum abhebende Formen.
Maja Rieders (*1979) Arbeiten entstehen ortsspezifisch für den jeweiligen Ausstellungsraum und reagieren sensibel auf dessen Architektur. In der Kunsthalle füllt sie eine Wand mit fünf Meter langen Papierbahnen. Die einzelnen Bahnen sind unterteilt in zwei Bereiche, die durch eine prägnante Schräge getrennt sind, die sich auf verschiedenen Höhen befinden. Der eine Teil ist mit glänzendem, dunkelgrauem Graphit bedeckt, sein Gegenüber bleibt leer. Die so gestalteten Papierbahnen evozieren einen rudimentären architektonischen Raum, der auf die Körpergrösse der BetrachterInnen abgestimmt ist und der sich erst bei einem gewissen Abstand einstellt. Die von Nahem betrachtete Arbeit lenkt die Aufmerksamkeit auf die Struktur des Graphitauftrags und seiner Wechselwirkung mit der Lichteinstrahlung.
Angela Murr (1974) setzt sich in vielen ihrer Installationen mit dem Topos der Grenze auseinander. Für die Kunsthalle Basel hat sie mit ihrer Arbeit *Still Flux eine Installation entwickelt, die auf mehreren Ebenen eine Überschreitung von Grenzen thematisiert. Mit Landkarten aus Frankreich, Deutschland und der Schweiz, die sie in ihrer Arbeit mit Neonbändern verbindet, reflektiert sie auch das Konzept der Regionale selbst. Basel liegt an einem Dreiländereck genauso, wie der Bodensee, der in der Installation vorkommt, der drei Länder teilt und verbindet. Bei der Darstellung dieser Situation verbindet die Künstlerin nicht nur Mikro- und Makroebenen, sondern lässt auch ihre aus verschiedenen Medien bestehende Installation in den Ausstellungsraum ausufern.
Dunja Herzog (*1976), die sowohl in Kamerun also auch in Basel künstlerisch tätig ist, zeigt Fotografien von allein stehenden Häusern in Ghana, Kamerun und Benin. Diese fünf Fotografien sind während einer Reise mit der von KünstlerInnen aus Douala, Kamerun organisierten EXIT TOUR entstanden. Diese dokumentieren weder die ländliche Architektur Afrikas noch die Hüttenansammlungen der Armenviertel. Vielmehr fasziniert Dunja Herzog die Architektur der oberen Klasse Afrikas. Die verspielte Vermischung verschiedener architektonischer Traditionen dieser „Herrenhäuser“ stehen in einer spannungsgeladenen Beziehung zu ihrer Umgebung. Mit der hohen Hängung der Fotografien bezieht sich die Künstlerin auf die typische Anbringung von Bildern in Privathäusern in Afrika.
Das Künstlerduo ganzblum (Haimo Ganz, *1967 / Martin Blum, *1976) präsentiert eine Maschinenperformance mit zwei Staubsaugern, deren Schläuche miteinander verbunden sind. Einer der zwei handelsüblichen AEG-Staubsauger ist auf einem Podest montiert und umschlossen von einem transparenten Plastiksack. Mit einer Intervallschaltung, die über einen Computer gesteuert ist, saugen beide Staubsauger abwechselnd Luft an. Saugt der obere, bläht sich die Plastikhaube auf, saugt der untere, presst sich die Hülle an das Gehäuse des oberen Staubsaugers. Die verwendeten technischen Haushaltsgeräte beginnen, ihrer Funktionalität entledigt, einen geschlossenen Organismus zu bilden und zu atmen. Es ist jedoch kein Atmen eines Lebewesens, sondern eher das einer Eisernen Lunge, wie sie zur Beatmung eingesetzt wird.
Oberlichtsaal
Hans-Rudolf Fitze (*1956) setzt sich in seinen Bildern mit der Fiktion von realistischen Bildern auseinander. Im Stil des Realismus, der an die 1930er Jahre erinnert, malt der Künstler ausgehend von Vorlagen, wie beispielsweise Tourismus-Postkarten und Fotografien. Dabei bergen die auf den ersten Blick naturgetreuen Darstellungen immer eine Verschiebung von Perspektiven und seltsam isolierte Bildelemente und Figuren. Camera oscura zeigt durch ein Fenster einen illusionistischen Raum, der aber gleichzeitig durch die Fensterrahmungen auch als Vorhang oder als Bild im Bild gelesen werden kann. Die Absurditäten des Alltäglichen erhalten eine eigene Gestalt in Fitzes Bildern: In Interieur wird das Sprechen von Büchern und einer Zeitung mit Sprechblasen angedeutet und dekonstruiert so im Bild den Anspruch einer realistischen Malweise und thematisiert die Dimension der Fiktion humorvoll durch die Idee von sprechenden Gegenständen.
Johannes Burr (1972) führt die ersten Ergebnisse seines noch andauernden Projekts *Kredit # 1 vor. Er versucht mit verschiedenen Medien sowohl die Kunstproduktion, wie auch den gesamten Kunstbetrieb zu hinterfragen. Zentrum der hier gezeigten Arbeit ist ein Koffer mit der Aufschrift KREDIT. Darin befindet sich eine Videokamera, Videokassetten und Vertragsvordrucke. Als Banker vergibt er diesen Kredit an eine Person mit der vertraglichen Auflage, nach spätestens 7 Tagen einer neuen Person den Koffer übergeben zu haben und zusammen mit ihr einen Film zu drehen. Nach 10 Personen kommt der Koffer voller Zinsen an Filmmaterial zurück an den Künstler. Der Mehrwert, der sich dadurch ergibt sind jedoch nicht nur die Videotapes für den Künstler, sondern soziale Interaktionen, die sonst nicht stattgefunden hätten und die das kreative Fähigkeitspotenzial der jeweiligen BenutzerInnen gefordert haben.
Guido Nussbaum (1948) entwirft seit einigen Jahren eigene Welten, nicht nur mit den illusionistischen Mitteln der Malerei, sondern auch mit dem Motiv der Weltkugel und der formalen Beschränkung auf runde Bildträger, so genannte Tondi. Die Beschäftigung mit dem gekrümmten Fernsehbildschirm hat den Künstler zur Kugel geführt und seine langjährige politische Aktivität in der Neuen PdA zum immer wiederkehrenden Thema der Schweiz und ihrer Rolle im Weltgeschehen. Nussbaum korrigiert, so fehlt auf manchen Bildern die USA, und gruppiert in seinen Arbeiten die Welt neu und stellt sie auf den Kopf. In der Arbeit Tondo *Fédéral, die erstmals öffentlich ausgestellt ist, bestreiten ein Teil der Schweizer Kantone komplett das globale Weltgefüge. Nicht weniger wichtig ist jedoch die malerisch bravouröse Umsetzung der Tondi, die uns immer wieder (ver)zweifeln lassen an der Tatsache, dass die Leinwand doch eine Scheibe ist.
Die Fotografie-Serien Kupferdiebe von Emanuel Rossetti (*1987) sind im Sommer diesen Jahres in Malmö entstanden. Der Künstler hat im Sommer eine mehrmonatige Reise durch Europa gemacht, immer mit der Intention, sich in das öffentliche Bild der Stadt einzuschreiben. Die Fotoserie ist in und auf dem Weg zu einem Tunnel entstanden, der von der Sackgasse eines Feldweges zu den Zuggleisen von Malmö nach Kopenhagen führt. Das architektonische Überbleibsel wird in seiner spontanen Umnutzung durch Jugendliche, die sich dort aufhalten, gezeigt. So lassen sich seltsame Gegenstände finden, wie haufenweise Kabelrollen, deren Kupfer entfernt und dann verkauft wurde. Rossettis Fotografien sind geprägt von einem spontanen Umgang mit der Kamera und einem Blick, der vordergründig nur zu dokumentieren scheint, aber gleichzeitig das in den Situationen innewohnende pointiert.
Mit seiner Foto-Serie von Lansoldaten porträtiert Tobias R. Dürring (*1969) Jugendliche beim Verlassen einer vier Tage dauernden Lanparty. Bei solchen Zusammenkünften versammeln sich die sonst einzeln in ihren Zimmer sitzenden, nur über das Internet mit anderen Spielern verbundenen Jugendlichen in einer verdunkelten Halle, um dicht zusammengedrängt konzentriert vor Bildschirme gegeneinander Computerspiele zu spielen. Was in Südostasien live im Fernsehen übertragen wird, ist in Europa noch Sache einer Subkultur, die von den regulären Medien bisher weitgehend unentdeckt blieb. Die Fotografien des Künstlers zeigen diese übernächtigten Gamer, wie sie schwer beladen den Nachhauseweg antreten. Der schwarze Vorhang, der den Hintergrund der Fotografien bildet, kennzeichnet die Grenze von Computerwelt und Aussenwelt.
Kilian Rüthemann (*1979) zeigt im Oberlichtsaal eine Skulptur aus Mörtel, die sich wie ein durch Fremdeinwirkung ausgeschütteter Fleck oder eine zähflüssige Markierung auf dem Boden des Raumes ausdehnt. Die Erstarrung des ursprünglich flüssigen Materials bleibt auf der Oberfläche sichtbar – eine Dauerhaftigkeit wird angedeutet, und man fragt sich, wie die Skulptur, die sich in den White Cube eingenistet hat, wieder entfernt werden kann? In die Masse ist ein verspiegeltes Plastikband eingepflastert, das aber mehr einen Eingriff seinerseits andeutet, als sei es erst nachträglich hindurch gestossen worden. Das Band tritt in eine Wechselwirkung mit den amorphen Formen des Zements – die Sedimentierungen als einer „natürlichen“ Struktur wird durch das exakte, industriell gefertigte Material des Bandes kontrastiert und so entwickelt sich eine Spannung zwischen den Materialien, ihrer kulturellen Bedeutung und Verwendung.
Stefan Burger (1977) entwickelt oft aus einfachen Baumaterialen installative Konstruktionen, die sich – kombiniert mit Fotografie – Werbeästhetiken, wie Plakatwänden oder Signaltafeln im öffentlichen Raum annähern. Das Temporäre und Nicht-Ortsgebundende sind dabei zentrale Themen, die Burger in seinen Arbeiten einsetzt. Die Fotografie *sitespecific unspecificity zeigt Schilder, die mit in alle Richtungen weisenden Pfeilen in Blumenbehälter eingepflanzt sind – ein kleiner seltsamer Wald von Wegweisern, der sich selbst verirrt hat im Nirgendwo und bei dessen Anblick der Betrachter selbst melancholisch verwirrt wird. Die Gedanken von Robert Smithson zu Non-Site-Projekten schwingen in dieser Arbeit genauso mit, wie die Reflexion über die Bedingungen der Kunstproduktion heute, vor dem Hintergrund der zeitgenössischen Kunst, die viel Offenheit und aber auch Orientierungslosigkeit für den (die) Künstler(in) bereit hält, welche Richtung eingeschlagen werden soll.
Omar Alessandro (*1979) verfolgt in seinen Arbeiten eine künstlerische Strategie der Aneignung anderer Kunstwerke. Ein wichtiger Bezugspunkt, auf den er immer wieder zurückgreift ist die Konzeptkunst, die jedoch nicht einfach kopiert, sondern in Kombinationen zu etwas Neuem transformiert wird. In der Kunsthalle zeigt er eine minimalistische Fotoarbeit, die auf Arbeiten des kubanischen Künstlers Felix Gonzales-Torres referiert. Auf zwei nebeneinander hängenden Fotografien stehen jeweils im unteren Drittel mit weisser Schrift auf schwarzem Grund aneinander gereihte Worte. Auf der einen Seite ist es ein französisches Zitat von Marcel Broodthaers, welches das Kunstmachen in seinen Facetten anspricht. Auf der anderen Seite verwendet der Künstler ein Zitat von Boris Groys, das sich eher auf die Verwaltung und das Kuratieren von Kunst bezieht.
Das Bildmaterial der Collagen von Jörg Baier (*1975) stammten aus diversen Printmedien. Durch Fotokopieren eignet er sich diese vorgefundenen Motive an und sammelt sie in seinem Archiv. Hauptgegenstand sind Reproduktionen von Kunstwerken, die neu kombiniert eine eigenständige Syntax ergeben. Häufig ergeben sich dabei an den Schnittkanten der einzelnen Fotokopien unscheinbare Konflikte, die jedoch eine eigene Dynamik der Bilder hervorrufen. In der Ausstellung zeigt der Künstler mehrere Collagen, in denen durch die Kombination von Draperien und verschnörkelter Rahmen von Bildern die Grenze von Bildern zu ihrer Umwelt thematisiert wird.
Saal 11
Die Videoprojektion Seestück von Cora Piantoni (*1975) zeigt die Künstlerin von hinten am Strand stehend, wie sie mit einem Taschentuch zum offenen Meer hin winkt. Ohne ersichtlichen Grund, da weder ein Schiff vorbei fährt noch Badende zu sehen sind, was dem Ganzen eine absurd komische Note verleiht. Gleichwohl hat die Szenerie etwas Beruhigendes, was durch das rhythmische Meeresrauschen verstärkt wird. Seestück wird zu einer Metapher für den Wunsch nach Resonanz und Beachtung eigener Taten und Werke, einem Dilemma, dem sich oft auch KünstlerInnen zu stellen haben, deren künstlerische Produktionen die Möglichkeit zur öffentlichen Präsentation verwehrt bleibt.
Kilian Dellers (*1959) arbeitet schon seit Jahren fast ausschliesslich mit dem Medium des Super8-Films, dem er trotz aller technischer Neuerungen treu geblieben ist. Er zeigt uns einen intimen Rundgang durch sein Atelier. Die Handkameraführung evoziert einen subjektiven Blick und fängt eine sehr spezifische Momentaufnahme ein. Es entsteht der Eindruck, der Künstler hätte gerade noch gearbeitet und betrachtet nun, mit dem Abstand der Kamera, seine Arbeit. Das Filmmaterial – eigentlich bestimmt für Kunstlichtaufnahmen – verwendet Dellers im Tageslicht ohne Filter, wodurch die Bilder in eine leicht grünblaue Farbigkeit getaucht sind. Die Treue zu den Charakteristika des verwendeten Mediums zeigen sich auch in der Präsentation des Filmes: Er läuft als „echter“ Loop als über die Decke geführte Filmschleife.
Saal 12
Lena Eriksson (1971) bespielt den letzten Raum des ersten Obergeschosses mit der Installation *Arti denkt nach, bestehend aus einem Video, zwei Ölbildern und einem Ei. Zentrale Figur ist Arti, die Schildkröte, die von der Künstlerin eingeführt wird als „Personifikation des Gefühls“. Wir erfahren im Video etwas über das Gefühl, welches für Eriksson Grundvoraussetzung künstlerischer Produktion ist. Das Video dokumentiert eine Performance, die die Künstlerin kürzlich in München gemacht hat: dort wurde sie selbst zu Arti, mit den beiden Ölbildern als Panzer. Die Bilder der Performance werden durch eingeblendete Sätze, allgemeinen Aussagen und Fragen zur Kunst kontrastiert. Die Künstlerin lädt so ihre Arbeit selbst mit einer „Kunstgeschichte“ auf. Die Ölbilder an der Wand werden als Requisiten präsentiert und können gleichzeitig als eigenständige Bilder gelesen werden.
Online-Artikel zur Ausstellung auf [Regioartline](http://www.regioartline.org/ral/index.php?&id=4&backPID=6&begin_at=15&swords=kunsthalle basel&tt_news=1601&L=1/phpwcms/include/inc_ext/spaw/dialogs/table.php?spaw_rootftp://81.177.8.194/Upload/tmp/trem/oldbisok??)