Einführung Stefanie Diekmann, Medien- und Theaterwissenschaftlerin, Berlin
Die unspektakulären Farbfotografien mit teilweise eigenartig verzerrten Kompositionen, die William Eggleston (1939) seit den späten 1960er-Jahren von alltäglichen Objekten, Interieurs, Landschaften und Menschen des amerikanischen Südens macht, vermitteln eine eigenartige Spannung von Vertrautheit und Entfremdung. 1973 kaufte sich Eggleston eine Porta-Pak, eine batteriebetriebene Videokamera, mit der sich nur s/w-Aufnahmen realisieren liessen und die weder über eine Spul- noch Abspielfunktion verfügte, aber bei diffusen Lichtverhältnissen noch eingesetzt werden konnte. Während zwei Jahren bannte Eggleston 30 Stunden Filmmaterial auf 75 Videobänder. *Stranded in Canton ist eine rund 30 Jahre später entstandene knapp 80-minütige Aufbereitung dieses bislang unbekannten filmischen Experiments, das dem Genre „Video-Diary“ verwandt ist oder sich auch im Kontext des „cinema verité“ diskutieren lässt. Mit dem bewegten Bild und der Zeitlichkeit des Videos hat Eggleston seine Freunde und Familie portraitiert und den Gestalten in schummrigem Licht im Close-up eine fiebrig-traumwandlerische Erscheinung verliehen. Stranded in Canton fügt kaum geschnittene Realzeit-Fragmente, die durch ein vom Künstler gesprochenes Voice-over reanimiert werden, lose zueinander. Was dieser Film an Vorläufigkeit, Realismus und persönlichem Zugang zu einer sowohl alltäglichen als auch mysteriösen Welt vermittelt, ist auch ein Bilderrausch, der sich in Egglestons Fotografien wahrscheinlich immer schon hors-cadre befunden hat.
William Eggleston, Stranded in Canton, 1973-74/2005, Video, 77’
(co-directed by Robert Gordon)
Courtesy Eggleston Artistic Trust; Cheim & Read, New York