Die Kunsthalle Basel freut sich, anlässlich der diesjährigen Regionale 15 die Gruppenausstellung form follows form follows form mit neuen und bestehenden Arbeiten von Jonas Baumann, Samuli Blatter, Christian Falkner, Corsin Fontana, Andreas Frick, Lucie Gmünder, Daniel Göttin, Gert Handschin, Emanuel Rossetti, sowie Petra Soder zu präsentieren.
Muster, bestimmt von ihrem kulturellen Umfeld, besitzen die Fähigkeit wie Texte gelesen und interpretiert werden zu können und schaffen so komplexe Bezüge untereinander sowie zwischen ihren Schöpfern und den Betrachtern. Die Geschichte und Vielfalt des Musters in verschiedensten Kulturen und dessen Verwendung in unterschiedlichsten Bereichen wie Textilien, Malerei, Buchkunst, Keramik, Architektur, Möbel und Mode wird dabei zum thematischen Ausgangspunkt. Die zehn Künstler aus Basel und der Region zeigen im Rahmen dieser, in den unteren Sälen der Kunsthalle stattfindenden Ausstellung künstlerische Werke wie Malereien, Zeichnungen, Videos, Prints und Objekte, die auf ihre ganz individuelle Art und Weise Muster, Texturen und Strukturen aufgreifen.
Neben der Frage der künstlerischen Ausführung ist die Anordnung eines Musters auf einer Oberfläche von grosser Bedeutung: Gesellschaftliche und kulturelle Traditionen, Werte und Geschmack beeinflussen die Erschaffung von Mustern und spiegeln so natürliche und von Menschen geschaffene Räume wider. Die zehn Positionen – in unterschiedlicher Ausprägung einer figurativen und abstrakten Bildsprache – zeigen Muster und Strukturen auf, die eine bestimmte Wirkung auf den Betrachter erzielen. So werden Interpretationen der Thematik entwickelt und vermittelt, die aus der eigenen Erfahrung des Künstlers schöpfen und doch kollektive Erinnerungen in den Betrachtern hervorrufen können.
Der Ausstellungstitel kann als eine Art Weiterführung des populär gewordenen Zitats des Architekten Louis Sullivan „form follows function” gelesen werden. form follows form follows form bezieht sich, als ein literarisches Repetitio, auf die Grundstruktur eines Musters und verweist gleichzeitig auf die räumliche Abfolge künstlerischer Positionen, die auf die fünf Ausstellungsäle der Kunsthalle Basel verteilt sind.
Gert Handschins Arbeiten scheinen auf konstruktivistische Prinzipien in Architektur und Kunst zurück zu gehen, bei denen die Gestaltungselemente kennzeichnend von einfachen, geometrisch angeordneten Grundelementen geprägt sind. Die schwarzen Objekte 1m² Mdf schwarz (2014) des Basler Künstlers, die in Saal 1 der Kunsthalle Basel zu sehen sind, beschränken sich wie der Titel besagt, in der Form auf einen Quadratmeter. Handschin geht es um das Ausloten des Materials und so werden die MDF Platten durch Einsägen und Knicken in neue Formate transformiert und strahlen trotz ihrer formalen Reduzierung eine organisch anmutende Wirkung aus. Die raumspezifische Komposition der Objekte im Ausstellungssaal lässt sich zu einem einheitlichen Muster zusammenfügen, das die Offenheit des Raums trotzdem zulässt. Handschin ergänzt den Ausstellungssaal durch seine Skulpturen zu einer scheinbar klar formulierten Struktur, die jedoch die Fläche zu einer rhythmisch bewegten Architektur zu verändern vermag und so die Raumerfahrung des Betrachters beeinflusst.
Samuli Blatters Praxis reicht von filigranen und grossflächigen Graphitzeichnungen bis hin zu raumspezifischen Installationen. Der in Luzern lebende Künstler zeigt in der Kunsthalle Basel vier grossformatige Graphitzeichnungen aus der Serie Zero (2013). Die Arbeiten scheinen dem Prinzip einer eindeutigen Zeichensprache zu folgen und doch sind flüchtige Momente und Bewegungen klar zu erkennen. Blatter nutzt die Zeichnung als Medium, um Denkprozesse zu erforschen und weiterzuentwickeln. Trotz seiner intuitiv entstehenden Arbeiten ist in den formalen Studien von fragmentarischem Zerfall und dessen Rekonstruktion eine konsequente Umsetzung von Abstraktion immer wieder erkennbar. Die Struktur des Graphitauftrags bleibt dabei stets ersichtlich und rückt so Material und Machart in den Vordergrund. Das Wechselspiel von Schwere und Zartheit, Leere und Fülle sowie Schaffens- und Zerstörungsprozessen in Blatters Zeichnungen lässt den Betrachter lange vor seinen Arbeiten verweilen.
Emanuel Rossetti präsentiert eine Serie von Arbeiten, die bei der einen oder anderen Gelegenheit schon einmal gezeigt wurden. Zu sehen sind Donuts, die auf einem farbigen Hintergrund zu schweben scheinen. Rossetti fotografiert unterschiedliche, marmorierte Oberflächen und verformt das Bild am Computer. Ein Bistro Tisch im Café Odeon, der Marmorboden des Zürcher Hauptbahnhofs, eine Wand von Mies van der Rohes Pavillon in Barcelona oder gefundenes Material aus dem Internet. Diese Texturen werden in die geometrische Form eines Torus eingearbeitet – eine Form, die Rossetti als Readymade benutzt. So bleiben die Kontur des Rings, der an einen Donut erinnert, sowie die Maserung des Steins erkennbar und werden zum Produkt, das den jeweiligen Ort auf eine reduzierte Art widerspiegelt. Zusätzlich zeigt Rossetti die Arbeit NO (2014), die in Zusammenarbeit mit dem Zürcher Künstler Tobias Madison entstanden ist und hier als ergänzender Teil einer Installation verstanden werden kann.
In Saal 2 zeigt Jonas Baumann eine Auswahl von Arbeiten: Malereien, Prints, Objekte und eine neue Video-Arbeit. Der ersten Generation angehörend, die ihre frühsten Gehversuche auf digitalen und analogen Spielplätzen zugleich machte, verspürt man bei Baumanns Arbeiten seinen Drang, Virtualität nicht bloss hinzunehmen, sondern sie auch zu lokalisieren und zu erfassen. Mit der Arbeit Analog Virtuality (2013/14) lotet er den Graben aus zwischen taktiler und analoger Malerei und den körperlosen, digitalen Techno-Bildern hinter unseren Bildschirmen. So erinnern seine Malereien an Computer-generierte Renderings die, einmal umgesetzt in die Malerei, fehlerhaft und gar nicht mehr perfekt wirken. Baumann sieht sich selbst als Forscher, der Objekte aufgreift, die als historische Artefakte erkennbar sind. Die Darstellungen von Masken, Skulpturen und Stoffen variieren in ihrer Form und ihrer Textur. In der Video-Arbeit A Touch of Vacuum (2014) verfolgt Baumann dieses Interesse weiter und spielt mit der zufällig generierten Form am Beispiel vom Faltenwurf von digitalen Textilien. Das hölzerne Objekt erweckt den Eindruck, direkt aus den Malereien entsprungen zu sein und erzeugt so eine „dissonante Harmonie”, die zu erreichen ein stetiger Antrieb seiner künstlerischen Praxis ist.
Daniel Göttins Arbeiten, in Saal 3 und 4 zu sehen, legen ihren Fokus auf Farbe und Form. Monochrom leuchtende Töne dominieren den hölzernen Träger, der geometrisch zurecht geschnitten wird. Dabei wird die Farbe vom Künstler direkt aufgetragen und nicht industriell gespritzt, was die Wahrnehmung des Betrachters verändert. Bei näherem Betrachten gewinnen die Objekte durch die Sichtbarkeit des Farbauftrags einen ausgeprägt malerischen Charakter. Durch das Verdoppeln, Halbieren oder Addieren von Formen kommt es in seinen Werken immer wieder zu formalen Wiederholungen, die den Raum mit einer Art architektonischem Muster akzentuieren. Dabei wird der hölzerne Träger der Malerei gleichwertig gegenübergestellt und transformiert diese erst zum Objekt. Die Arbeit des Basler Künstlers lässt sich daher kaum als Farbflächenmalerei bezeichnen, sondern vielmehr als eine reduzierte Form von Skulptur.
An der gegenüberliegenden Wand, über die Ecke des Saals gehängt, zeigt Petra Soder ihre für die Ausstellung entstandene Arbeit mit dem Letzten vom Sommer. 8.10.14 (2014). Die grossformatige, abstrakte Zeichnung auf Papier wirkt auf den ersten Blick wild und unstet, und doch zeugt sie von einer zarten Farbigkeit, die ihr etwas Poetisches verleiht. Soder arbeitete hier weder mit Pinsel noch mit Stift, sondern mit Blumen und Pflanzen, die je nach Saison in ihrer Umgebung zu finden sind und so Textur und Struktur des Farbauftrags bestimmen. Direkt nachdem die Farbe getrocknet ist, wurde das Papier im Atelier der Künstlerin luft- und lichtdicht verpackt und erst am Tag des Ausstellungsaufbaus wieder ausgerollt. Auch das ist der Grund für die Mattheit der Farben, die die Arbeit aufweist. Aus rein natürlichen Gründen der Oxidation werden die Farben der einstigen Blüten blasser und verändern sich kontinuierlich im Laufe der Ausstellung. Was übrig bleibt, sind Spuren der Natur, während die Vielfalt und Farbigkeit der Pflanzenwelt nur noch zu erahnen ist. Auf diese Weise schafft Petra Soder ein Landschaftsbild, das vielmehr ein memento mori ist als ein tatsächliches Abbild. Wo die Blumen herkommen, wie die Arbeit bei ihrer Entstehung aussah, bleibt dabei der Künstlerin vorbehalten.
Lucie Gmünder zeigt eine Auswahl von neuen Arbeiten, die für die Ausstellung in der Kunsthalle entstanden sind. Die Werke unterteilen sich in monochrome und abstrakte Malereien. Während das Monochrome als Stimmungsgeber gelesen werden kann, sind es die eher abstrakteren Werke, die lebendiger wirken und die Bewegung vorgeben. Als Farbton wählt die Künstlerin ein Indigo-Blau, das, teilweise fast schwarz, die mondlose Nacht verkörpert und durch die sichtbare Struktur des Farbauftrags eine intensive Tiefe in sich trägt. Die Farbe strahlt eine Dualität aus, die sich auch auf die Arbeiten selber übertragen lässt. Diese steht ebenso für Nähe und Weite wie für Tag und Nacht. Gmünder interessiert bei der Kombination der zwei sehr unterschiedlichen Darstellungen auch das, was zwischen den Bildern passiert. Durch die Schaffung von Zwischenraum verändert sich die Wahrnehmung des Einzelnen, ebenso wie die Form des Werkes. Auch die Zeichnungen Gmünders zeugen von einem Interesse am Detail. So unterteilen sich die beiden Gruppen in feine, hauchdünne Zeichnungen, die abstrakte Formen wiedergeben und flächige Arbeiten, die, aus der Distanz gesehen, monochrom wirken.
Betritt man Saal 5 der Kunsthalle Basel, werden dem Besucher als erstes die leuchtend farbigen Bodenarbeiten des deutschen Künstlers Christian Falkner auffallen. Die Ausgangslage für seine Malereien und Drucke sind digitale Fotografien, meist von schlechter Qualität. Diese schnell und spontan entstandenen Fotografien verfügen über das Potenzial, Erinnerungen und Stimmungen optimal einzufangen und dienen dem Künstler als visuelle Skizze seiner Arbeiten. Das eigentlich fokussierte Objekt oder der fixierte Moment rückt dabei oftmals in den Hintergrund. Unabsichtliches wie Unschärfe, leuchtende Reflexe, dumpfe oder grelle Lichtverhältnisse werden in den Vordergrund gestellt. Falkner zeigt in der Kunsthalle Basel zwei grossflächige Bodenarbeiten mit dem Titel And in between the Singing of Crickets (2014), die jeweils aus kleineren Prints bestehen und ortspezifisch zu grossen Mosaiken zusammengesetzt werden. Die Drucke werden im Offsetverfahren hergestellt, bei dem die Farbe intuitiv vom Künstler direkt auf die Rolle aufgetragen und danach auf dünne Aluminiumplatten gedruckt wird. Die so entstehenden, individuellen Farbverläufe werden zu einem abstrakten Bild-Teppich zusammengesetzt und ergeben ein verschwommenes Farbkonstrukt, dass trotz jedes einzelnen, individuellen Puzzlestücks ein erstaunlich kontinuierliches Muster darstellt. Mit And in between the Singing of Crickets öffnet Falkner den Wahrnehmungsraum des Betrachters und trägt so zu dessen Konstruktion von Erinnerung bei.
Der Künstler Corsin Fontana wurde ohne Dossier-Abgabe von der Kunsthalle Basel für die Ausstellung form follows form follows form eingeladen, da sein Werk in formaler und inhaltlicher Hinsicht immer wieder Muster und Strukturen aufweist. Muster bestehen aus Elementen, die als wiederholte, alternierende und symmetrische Formen miteinander in Beziehung stehen. So ergibt auch die regelmässig entlang einer horizontalen Linie gehängte 22-teilige Serie Mit gleichem Abstand (2005/2006) Fontanas ein ebensolches Muster. Unterbrochen durch leichte Störungen und Verschiebungen entsteht ein rhythmisierendes Bild, das in Bewegung zu sein scheint und einen Takt angibt. Diese sequenziellen Elemente sind in vielen Arbeiten Fontanas von grosser Bedeutung, ebenso wie der dicke Farbauftrag der Ölkreide und die dadurch entstehende physische Präsenz des Materials. Der dadurch betonte Schaffensprozess rückt auch bei den Arbeiten Ohne Titel (Nr.09) (2012) und Ohne Titel (2014) in den Vordergrund. Im Gegensatz zu der Serie Mit gleichem Abstand werden hier mehrere Farbschichten einzeln aufgetragen, immer wieder erneuert und weggekratzt bis die stark verdichtete Komposition des Bildes vollendet ist. Dabei ist Trocknungsprozess sehr zeitaufwendig und der dadurch langwierige Ablauf kann fast als eine Art Ritual bezeichnet werden, bei dem Fontana immer wieder von neuem einen Eingriff in das entstehende Werk vornimmt. Der Künstler schöpft aus einem reichen Fundus an Quellen, Einflüssen und Vorstellungen, die zu einer Kontinuität seines malerischen Werks führen.
Auch die Heliogravüren Gucun II (2013) des in Basel lebenden Künstlers Andreas Frick ergeben von weitem ein optisches Muster, dessen Inhalt sich bei näherem Betrachten konkretisiert. So erkennt man erst dann die Fotografie, die der Arbeit zu Grunde liegt und unterschiedlich lange Schilfe im Wasser und deren Spiegelung sichtbar macht. Frick bedient sich der Technik der Heliogravüre, ein fototechnisches Druckverfahren, mit dem Fotografien reproduziert werden und dabei echte Halbtöne dargestellt werden können. So werden feinste Strukturen und Texturen in den Drucken sichtbar, welche die poetische und zarte Wirkung des Motivs unterstützen. Die Arbeiten Lido (2014) und schwarz sehen (2014) bedienen sich einer etwas anderen Bildsprache und zeigen abstrakt wirkende Malereien, die sich in ihrer Form auf die Farbabstufungen verschiedener Weiss- und Schwarztöne konzentrieren. Ähnlich auch die Arbeit là haut/en bas (2011), eine Heliogravüre, die das Treppenhaus im Atelier des Künstlers zeigt und durch die Wahl des Ausschnitts das Motiv der Treppe und deren Lichtverhältnisse zu einem schwarz weiss Muster transformiert. Fricks Arbeiten tragen durch die Abstraktion ihrer Motive eine verschlüsselte Bildsprache in sich, die von inneren Erfahrungen, Erinnerungen und Erlebnissen des Künstlers geprägt ist und im Betrachter unterschiedliche Assoziationen auslösen kann.
form follows form follows form bringt eine Auswahl an KünstlerInnen zusammen, die sich innerhalb ihrer Arbeit mit Formenbildung, Mustern und Strukturen beschäftigen und ein grosses Interesse an der Thematik und deren Vielfalt sichtbar machen. Lässt sich das Material als solches schon als eine Form lesen oder inwiefern braucht es eine künstlerische Intervention, um Formen zu schaffen?
Die Ausstellung wurde von Mara Berger und Fabian Schöneich kuratiert.
Installationsansichten: Serge Hasenböhler, Kunsthalle Basel, 2014
Plakatdesign: Nadine Rinderer